Gewindewerkzeuge

Starker Antrieb Effizienzgewinn

Um Innengewinde in Getriebegehäuse effizienter als bisher einbringen zu können, testet Voith Turbo in Garching den ‘Taptor‘ von Emuge-Franken. Mit dem Bohr- und Gewinde-Tool erreichte man jetzt schon das Etappenziel, Werkzeug-Anzahl und Taktzeit zu reduzieren.
5. Juni 2024
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Zufriedene Innovatoren: Armin Kusch, Außendienstmitarbeiter von Emuge-Franken (links), und Steffen Seifert von Voith Turbo. Im Vordergrund das Busgetriebe, bei dessen Fertigung sich das Gewindewerkzeug ‘Taptor‘ von Emuge-Franken bewährt© Emuge-Franken/ Avisio
Der Bereich Turbo des weltweit tätigen Voith-Konzerns bietet intelligente Antriebstechnik, Systeme sowie maßgeschneiderte Service-Leistungen an. Kunden aus Branchen wie Öl und Gas, Energie, Bergbau und Maschinenbau, Schiffstechnik oder Schienen- und Nutzfahrzeuge setzen auf Spitzentechnologien und digitale Lösungen von Voith Turbo. Ein wichtiger Fertigungsstandort befindet sich in Garching, nördlich von München.
In der dortigen Zerspanung werden auf einer gut 15 m langen Fertigungslinie Gehäuse für die Bus-Automatikgetriebe der ‘DIWA‘-Reihe bearbeitet, bestehend aus der Aluminiumguss-Legierung GD-ALS110. Auf einem XXL-Kontrollmonitor der oberhalb des Zellenrechners der automatischen Linie installiert ist, werden in Echtzeit die aktuell laufenden Prozesse bei der Komplettbearbeitung der Gehäusevarianten visualisiert. „Komplett heißt bei uns Fräsen, also von Schruppen bis Fertigschlichten auf Endmaß, Bohren, Anfasen sowie die Gewindeherstellung – alles in drei Aufspannungen“, erklärt Steffen Seifert, NC Programmierer bei Voith. Diese Aufgabe übernehmen die drei Horizontal-Bearbeitungszentren Heller MC 20, die in der Linie nebeneinander angeordnet sind und durch eine Teilewaschanlage ergänzt werden. Ein Gelenkarmroboter auf Schienen bedient die drei Maschinen, die Waschanlage und die Lagerplätze.
„Natürlich sind hier kurze Taktzeiten und eine gleichbleibend hohe Bearbeitungsqualität wichtig; ebenso aber auch die absolute Prozesssicherheit“, sagt Seifert. Und da sich die Technologien ständig weiterentwickeln, durchsuche man den Markt ständig nach neuen Lösungen, um so die Prozesse weiter optimieren zu können. „Eine der wichtigsten Stellgrößen sind die Werkzeuge“, betont der NC-Spezialist, der zusammen mit seinen Kollegen aus der CAM-Abteilung auch das Toolmanagement verantwortet. Jüngstes Beispiel, bei dem eine Werkzeugneuentwicklung für ein erhebliches Produktivitätsplus sorgte, sei die Gewindeherstellung.
Ein Modell des Bus-Automatikgetriebes ‘DIWA 6‘, in dessen aus Aluguss-GD-ALS110-Gehäuse der Taptor Innengewinde einbringt. DIWA steht für Differentialwandler, der beim Bremsen als Retarder arbeitet und so die Betriebsbremse entlastet© Emuge-Franken/Avisio

Vielfältige Vorteile des ‘Taptor‘ weckten das Interesse bei Voith

Voith bezieht Werkzeuge von verschiedenen Lieferanten, unter anderem seit vielen Jahren schon vom fränkischen Hersteller Emuge-Franken, der auch die Gewindewerkzeuge für die Bearbeitung der Getriebegehäuse liefert. „Ich hatte mit großem Interesse gelesen, dass Emuge gemeinsam mit Audi unter dem Namen Taptor ein neues Verfahren entwickelt hat, bei dem in Aluminiumguss die Kernlochbohrung und das Gewinde M6 simultan mit einem einzigen Werkzeug erzeugt werden“, erinnert sich Seifert. „Im Vergleich zum klassischen Vorbohren und anschließenden Gewindeschneiden beziehungsweise -formen waren mit dem Taptor durch den entfallenen Werkzeugwechsel beachtliche Zeitvorteile erzielt worden, und das bei vergleichbar guter Gewindequalität.“ Und er hatte gesehen, dass es sich bei den in dem Artikel beschriebenen Versuchen, die bei Audi gefahren wurden, um ganz ähnliche Gewindeausführungen wie bei den Getriebegehäusen gehandelt hatte. „Deshalb war ich natürlich sofort interessiert, auszuprobieren, ob der Taptor sich auch auf unserer Fertigungslinie unter Serienbedingungen einsetzen lässt.“ Auch deshalb, weil man mit dem Taptor einen dringend benötigten Platz im Werkzeugmagazin der Heller MC 20 gewinnen würde. Doch davon später.
Automatisch im 24/7-Betrieb: In der Fertigungslinie (Felsomat) sind drei Horizontal-Bearbeitungszentren Heller ‘MC 20‘ nebeneinander angeordnet, ergänzt durch eine Teilewaschanlage. Ein Gelenkarmroboter fährt auf Schienen die Stationen ab© Emuge-Franken/Avisio
Seifert sprach Armin Kusch darauf an, der als Außendienstmitarbeiter von Emuge-Franken die Garchinger vor Ort betreut. Und Kusch versprach, den Taptor in den inzwischen verfügbaren Größen M6 und M8 anfertigen zu lassen und für Tests mitzubringen.
Was verbirgt sich hinter dem von Audi patentrechtlich geschützten Verfahren genau, das gemeinsam mit Emuge entwickelt wurde und von den Ingolstädtern ‘Gewinde 3.0 mit Taptor-Technologie‘ genannt wird? Auf den Punkt gebracht, ist der Taptor ein zweischneidiger Spiralbohrer und Gewindebohrer in einem. Das erkennt man daran, dass sich in geringem Abstand von der Bohrerspitze Gewindezähne befinden.

Werkzeug vereint die Funktionen von Spiral- und Gewindebohrer

„Das Werkzeug bewegt sich mit dem Vorschub wie beim synchronen Gewindebohren in das Werkstück, der Bohrvorschub pro Umdrehung entspricht also der Gewindesteigung“, erläutert Thomas Funk vom Technischen Büro bei Emuge. „Ist die gewünschte Bohrtiefe erreicht, schneidet sich das Werkzeug frei. Im Bohrungsgrund wird das unvollständige Gewinde im Bereich des Gewindeauslaufs entfernt. Es entsteht ein Freiraum mit dem Gewinde-Außendurchmesser und einer Breite von etwa einmal der Gewindesteigung. In diesen Freiraum kann die Schraube eingeschraubt werden. In umgekehrter Drehrichtung fährt das Werkzeug durch das erzeugte Gewinde anschließend wieder heraus.“ Ausgelegt sei der Taptor ebenso für die Sackloch- wie für die Durchgangsloch-Bearbeitung.
Horizont-Erweiterer im Schrumpffutter: der Taptor von Emuge-Franken. Das Werkzeug ist zweischneidiger Spiralbohrer und Gewindebohrer in einem. Nahe der Bohrerspitze befindet sich ein Gewindezahn© Emuge-Franken/Avisio
Thomas Funk zufolge ist es für einen sicheren Prozess absolut wichtig, dass die Späne die Bohrung sicher verlassen können. Deshalb sorgt ein speziell entwickelter Spanteiler an der Stirnseite des Taptors dafür, dass die abgetragenen Späne besonders kurz sind und stets die gleiche Form haben. Der Spanteiler hilft zusammen mit den großen Freiwinkeln an der Bohrerspitze auch dabei, dass die auftretenden Axialkräfte klein bleiben. „Darum sind im Vergleich zu konventionellen Spiralbohrern aus Vollhartmetall bei vergleichbarem Vorschub die auftretenden Kräfte hier deutlich geringer“, betont Funk.
Thomas Funk war bei der Entwicklung des Taptors von Beginn an dabei; deshalb kann er sich an das Anforderungsprofil, das Audi an das neue Werkzeug stellte, noch gut erinnern. Da ist zum Beispiel die Festigkeit des Gewindes. Indem man bei Motorteilen aus Alu-Guss die Gewinde üblicherweise formte, ließ sich eine verdichtete Oberfläche erzeugen − gerade bei Alu ein Vorteil, weil hier die Festigkeit ein Problem darstellt. „Deshalb mussten wir mit dem Taptor die gleiche Festigkeitsklasse wie beim Formen erreichen und nachweisen, dass es keine Probleme gibt“, so Funk. „Wir haben deshalb die Geometrie so ausgelegt, dass ein Teil geschnitten – hierbei entstehen Späne – und ein Teil geformt wird und sich das Gewinde so verfestigt.“
Die Ergebnisse der Ausreißversuche hätten überzeugt, und der Taptor wurde daraufhin abgenommen. „Die mit dem Taptor hergestellten Gewindegeometrien lassen sich übrigens ganz klassisch mit den üblichen Gewindegrenzlehrdornen nach DIN ISO 1502 überprüfen“, ergänzt Thomas Funk.

NC-Programm für das Gewinden wird vom Hersteller mitgeliefert

Eines der fertig bearbeiteten Gehäuse für das Bus-Automatikgetriebe. Sämtliche M8-Sacklochgewinde wurden komplett mit dem Taptor hergestellt, inklusive Fasen© Emuge-Franken/Avisio
Doch zurück nach Garching. Vor Beginn der Versuche waren dort natürlich noch die Gewindezyklen für die Gehäusebearbeitung zu programmieren. „Wir arbeiten beim Taptor mit dem G331-Zyklus; das ist in den Sinumerik-Steuerungen von Siemens der Zyklus zum Gewindebohren ohne Ausgleichsfutter“, erklärt Entwickler Funk. Bei Fanuc sei dieser Zyklus mittlerweile ebenfalls verfügbar, mit anderen Steuerungsherstellern führe man Gespräche. Wichtig sei dabei, dass die Maschine hochdynamisch ausgelegt ist und die Spindel über einen Pulsgeber verfügt, damit die Synchronität beim Gewinden gewährleistet ist. Funk: „Den G-Code für den Taptor-Zyklus liefern wir dem Kunden als Anwendungsbeispiel mit.“
Das allerdings war in diesem Fall nicht nötig, weil Voith-Programmierer Steffen Seifert als NC-Profi auf Basis der Informationen von Emuge die Zyklen in kurzer Zeit selbst geschrieben hatte. Auch deshalb, weil bei Voith die Heller MC 20 ebenfalls mit Sinumerik 840D-CNC ausgerüstet sind. Dabei wird mit dem Taptor der Gewindezyklus so lange gefahren, bis die erforderliche Gewindetiefe erreicht ist.
„An diesem Punkt nehme ich die Steigung heraus und lasse den Taptor auf der Stelle drehen, damit ein Freistich und gleichzeitig die Fase erzeugt wird“, erklärt Seifert. Anschließend wird die Drehrichtung der Spindel umgedreht und mit dem gleichen Zyklus aus der Bohrung herausgefahren. „Wichtig ist, dass die Position des Werkzeugs eins zu eins übereinstimmt mit der Einfahrposition, weil sonst das Gewinde verschneiden würde.“
Jetzt konnte mit den Versuchen begonnen werden. Als Drehzahl wählte man 3000 min-1. Diese Drehzahl wird von der Heller MC 20 im Gewindezyklus problemlos synchronisiert. „Da wir in der jetzigen Phase beim Einsatz des Taptors noch auf den Speedsynchro verzichten, haben wir ihn direkt ins Schrumpffutter gespannt.“ Was Seifert mit Speedsynchro meint, ist eine Emuge-Spannzangenaufnahme mit Längenausgleich und integriertem Übersetzungsgetriebe ‘ins Schnelle‘. Damit wird im CNC-Gewindezyklus die synchronisierbare Drehzahl der Motorspindel, die beim Speedsynchro eingangsseitig bis 2000 min-1 betragen darf, um rund den Faktor 4 erhöht. Das Übersetzungsgetriebe hatte Voith bei den Gehäusen für Gewinde M8 bisher im Einsatz, bei M6 hingegen nicht.
Programmierer Steffen Seifert an seinem CAM-Arbeitsplatz. Die NC-Programme für die Maschinen werden mit Siemens NX generiert© Emuge-Franken/Avisio

Überzeugend auch bei den Themen Kühlschmierung und Späne-Abfuhr

Zu den wichtigsten Prozessparametern zählt auch das Thema Schmierung und Kühlung, meint Seifert. „Wir verwenden bei unseren Bearbeitungszentren grundsätzlich hochgefilterten Kühlschmierstoff.“ Darum sind in Garching bei den drei Heller MC 20 spezielle Filteranlagen des Herstellers IDV Engineering installiert. Ein Bypass-Patronenfilter filtert dabei alle Späne und andere Partikel, die größer als 10 µm sind, aus dem Fluid heraus. Diese Filterung im µm-Bereich sei für den innenkühlbaren Taptor extrem wichtig. Denn auch kleinere Partikel würden den Durchfluss in den beiden innen liegenden, wendelförmigen Kühlkanälen stören. Probleme bei der Späneabfuhr samt Hitze- und Verbrennungsschäden am Gewinde wären die Folge. Seifert: „Das ist beim Taptor ein sensibles Thema, da wir hier einen Umdrehungsvorschub gleich Gewindesteigung haben.“
Die Tests hätten dann auf Anhieb geklappt. Auch dank der Unterstützung seitens Emuge und besonders von Armin Kusch, hebt Seifert hervor. „Wir haben die zunächst angestrebte Standmenge gleich im zweiten Versuch erreicht und diese dann sukzessive erhöht.“ Mittlerweile werden bei den Gehäusen mit dem Taptor alle Gewinde – ausschließlich Sacklochgewinde – unter Serienbedingungen hergestellt.

Zwei Werkzeugplätze eingespart

Und wie lautet das vorläufige Resümee? Steffen Seifert berichtet, dass die durchschnittliche Zeiteinsparung, die mit dem Taptor gegenüber dem vorher getrennten Bohren und Gewindeschneiden erzielt worden ist, im zweistelligen Prozentbereich liegt. „Trotzdem haben wir die 50 Prozent noch nicht ganz erreicht, was allerdings auch nicht unser primäres Ziel war.“ Schließlich sei geplant gewesen, mit dem Taptor nicht nur die Bearbeitungszeit zu reduzieren, sondern auch die Werkzeug-Anzahl.
Der Grund: Die Werkzeugmagazine der Heller MC 20 wurden an die Fertigungslinie angepasst. Deshalb lassen sich die 88 Plätze nicht erweitern. „Somit war es wichtig, dass wir Werkzeuge aus der Kette heraus bekommen, um andere dringend benötigte einsetzen zu können“, sagt Steffen Seifert. Mit dem eingesparten Bohrer war nun schon ein Platz frei geworden. „Und da wir aufgrund der mit dem Taptor eingesparten Wechsel- und Hauptzeiten derzeit auf den Speedsynchro verzichten, haben wir jetzt zwei freie Werkzeugplätze gewonnen.“ Denn die Heller hatte wegen der Größe der Werkzeugaufnahme bisher den Werkzeugplatz neben dem Speedsynchro gesperrt.
„Bezogen auf alle Gehäusetypen hat sich die Gesamttaktzeit um etwa fünf Prozent verkürzt“, so Steffen Seiferts vorläufige Bilanz. „Aber das wird mit Sicherheit mehr. Denn wir sind ja noch am Ausloten.“ Und weil auch das Ziel erreicht worden sei, zwei Werkzeugplätze einzusparen, „hat der Taptor voll und ganz meine Erwartungen erfüllt.“
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Anwender

Direkt oder indirekt kommt wohl jeder von uns mit Produkten von Voith in Kontakt, meist, ohne sich dessen bewusst zu sein. Vielleicht beim Anschalten des Lichts, denn rund ein Viertel aller Wasserkraftwerke weltweit sind mit Technik von Voith Hydro ausgerüstet. Oder beim Buch, bei der Bedienungsanleitung, der Verpackung, beim Toilettenpapier – Voith Paper zählt international zu den größten Systemlieferanten für die Papierindustrie. Mit seinem breiten Portfolio aus Anlagen, Produkten und Serviceleistungen setzt Voith Maßstäbe in den Märkten Energie, Papier, Rohstoffe und Transport & Automotive. Gegründet 1867, ist Voith heute mit rund 21.000 Mitarbeitern, 4,9 Milliarden Euro Umsatz und Standorten in über 60 Ländern der Welt eines der großen Familienunternehmen Europas.
J.M. Voith SE & Co. KG
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Hersteller

Emuge-Werk Richard Glimpel GmbH & Co. KG
91207 Lauf
Tel. +49 9123 186–0
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