Schweizer MEM-Industrie

Erstaunliches Wachstum

Die Erholung in der MEM-Industrie hielt 2022 an. In puncto Umsatz und Aufträge wurden die Vorkrisenwerte erreicht, oft übertroffen. Doch es bleibt unsicher. So wirkt die Nachfrage-Hausse bei Werkzeugmaschinen geradezu bizarr ob diverser Probleme.
5. August 2022
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Quartals-Auftragseingang der Schweizer MEM-Industrie. Neue Basis ab Q4 2019 = 100(© Schweizer Präzisions-Fertigungstechnik, Quelle: Swissmem)
Christoph Blättler
Man staunt nicht schlecht, wenn man sich vor Augen führt, wie schnell sich die Schweizer MEM-Industrie aus der ‘Covid-Krise‘ herausgearbeitet hat. Offenbar haben dabei Timing, Verlässlichkeit, Qualität und Agilität, die Märkte betreffend, das ihre getan. Ein weiterer Faktor mag die typische Nischen-Ausrichtung in der Schweiz gewesen sein. Schließlich hat sich der krisenbedingte Investitionsstau für Nischenanwendungen am schnellsten aufgelöst.
Der Auftragseingang in der MEM-Industrie schoss im zweiten Quartal auf breiter Front nach oben und pendelte sich über das ganze Jahr 2021 gemittelt im Vergleich zum Vorjahr bei gut 26,5 Prozent höheren Werten ein. Die Dynamik schwächte sich zwar im ersten Quartal 2022 etwas ab, aber der Aufwärtstrend hält mit einem Plus von 11,9 Prozent ganz klar an (Bild 1). Dabei sind der Anlagen- und Apparatebau, der Werkzeugmaschinenbau und der Textilmaschinenbau ganz klar die Treiber.
Es war zu erwarten, dass die Schweizer MEM-Exporte auch 2021 wieder größtenteils in die EU, die USA und nach China gehen. Dass China aber um über 15 Prozent zulegen würde und trotz der Covid-Situation immer noch oder wieder Schweizer MEM-Produkte für 4,682 Milliarden Schweizer Franken ihre Abnehmer fanden, ist erfreulich und sicherte diesem Markt aus Schweizer Sicht den dritten Platz.
In den USA ‘brummt‘ es für die Schweizer Anbieter, und das soll sich noch steigern. 2021 nahm der Absatz hier um 11,4 Prozent auf 9,566 Milliarden Franken zu, sodass 14 Prozent aller MEM-Exporte in die USA gingen. Das ist der zweite Platz hinter Deutschland, das mit 25,3 Prozent und 17,305 Miliarden Franken mehr als ein Viertel aller Schweizer MEM-Produkte abnahm.
In Europa sticht daneben klar Italien heraus. Es scheint, dass die fiskalischen Maßnahmen um die Industrie in unserem südlichen Nachbarland zu stützen, weit greifen und dabei kräftig auch etwas für unsere Hersteller abfällt. Warten wir ab, was 2022 und 2023 davon noch übrig bleibt. Die Maßnahmen könnten sehr wohl nach dem Ende der steuerlichen Stützung Ende Juni 2022 für ein oder zwei Jahre in eine ‘Nachfragewüste‘ führen. Trotzdem sind aktuell die Zuwachsraten von 31,2 Prozent für 2021 und 21,2 Prozent für das erste Quartal des Jahres 2022 durchaus spektakulär.
Beim Schweizer Werkzeugmaschinen-Export zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Exporte konnten 2021 um 18,1 Prozent auf 2,934 Milliarden Franken gesteigert werden; zuvorderst nahm Deutschland für 618 Millionen Maschinen ab. Auf den Plätzen zwei und drei folgen die USA mit 407 und China dahinter mit 402 Millionen Franken.

Ist der Aufschwung bei den Werkzeugmaschinen solide?

Doch lassen wir uns nicht täuschen: Diese Werte bleiben noch gut 30 Prozent hinter den Rekordwerten von 2018 zurück (Bild 2). Die Resultate des ersten Quartals 2022 senden aber weitere positive Signale aus. Die gesamten Werkzeugmaschinenexporte konnten um 26,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal auf 794 Millionen Franken gesteigert werden. Deutschland nahm um 23,5 Prozent, China um 18 Prozent und die USA um 20,4 Prozent mehr Maschinen ab. Das sind ermutigende Zeichen.
Den Pokal der Absatzmärkte in den vorderen Rängen gewinnt erneut Italien. Hier steigerte sich der Absatz von Schweizer Maschinen 2021 im Vergleich zum Vorjahr um sage und schreibe 63,2 Prozent auf 211 Millionen und im ersten Quartal 2022 sogar um 70,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Auf die Gründe dafür ging ich bereits ein.
Kann das mit dieser Steigerung gut gehen, und wieso sind wir bei den Werkzeugmaschinen nicht wieder − wie bei den MEM-Produkten allgemein − bei den Vorkrisenwerten? Letzteres zu erwarten dürfte überambitioniert sein, handelte es sich doch bei den Resultaten des WZM-Exports 2018 um die besten Werte seit längerer Zeit. Das war bei den MEM-Exporten nicht ganz so. Andererseits legt Bild 2 die Vermutung nahe, dass da Sand im Getriebe ist. Einerseits haben wir offenbar eine Nachfragekonstitution, die vor Gesundheit strotzt, andererseits schwelen oder eskalieren geopolitische Konflikte. Die Lieferketten sind damit zusätzlichem Stress ausgesetzt − neben der hohen Nachfrage.
Exporte der Schweizer Werkzeugmaschinen-Industrie über die Jahresquartale(© Schweizer Präzisions-Fertigungstechnik, Quelle: OZD/Swissmem)

Die Situation bleibt spannend

Zu guter Letzt dürfen wir uns noch bis mindestens Ende 2023 mit den Engpässen bei Halbleitern herumplagen. Wenn etwa plötzlich ein 40-Fuß-Container für die Verschiffung 3- bis 4-mal mehr kostet, die Lieferzeiten und die Rohmaterialkosten explodieren, dann nimmt das Schwung aus dem System.
Und es heizt die Inflation zusätzlich an. Das ‘Raubtier‘ Inflation haben die Zentralbanken der wichtigsten Wirtschaftsräume ‘erfolgreich‘ angefüttert und dabei dessen destruktive Kraft unterschätzt, wie sie zum Teil eingestehen. Obwohl ich den Werkzeugmaschinenmärkten nur das Beste wünsche, erscheint mir aus diesem Grund die Prognose des weltweiten Werkzeugmaschinenverbrauchs von Cecimo und Oxford Economics, die bis 2025 von einem stetigen Anstieg bis zum neuen Rekordwert von rund 84,3 Milliarden Euro ausgeht, zu optimistisch. Ich mag angesichts des aktuell sich präsentierenden Gesamtumfeldes einfach nicht daran glauben, dass wir 2023 schon die Rekordwerte von 2018 erreichen und weiter auf dem Weg nach oben sind.
Was übrigens die jüngsten Präsenzmessen betrifft, so verstärkt die Ambivalenz zwischen Befürwortung digitaler Events und der neuen Begeisterung für reale Veranstaltungen meinen Eindruck, dass wir uns aktuell in einer ganz eigenartigen Atmosphäre bewegen. Niemand kann sagen, ob Dies oder Das zur Explosion führen wird. Dass aber eine gewisse Anzahl ‘Zünder im Acker‘ liegt, kann auch nicht bezweifelt werden.
Es bleibt spannend in unserer MEM-Industrie und speziell beim Werkzeugmaschinenbau − einer Branche, die in quasi alle weltweiten Entwicklungen irgendwie eingebunden ist, einer Branche, ohne die technische Fortschritte unvorstellbar sind. Bleiben wir dran!
Dipl.-Ing. (FH) Christoph Blättler ist Fachverbandsleiter Werkzeugmaschinen bei Swissmem in Zürich/Schweiz
c.blaettler@swissmem.ch