Entgratwerkzeuge

Gratfreie Bohrungen in Serie

Welches Verfahren ist das richtige, wenn in großer Stückzahl Bohrungen unter schwierigen Bedingungen prozesssicher zu entgraten sind? Im Folgenden werden die gängigsten Methoden zum Entgraten von Bohrungen vorgestellt und deren Stärken und Schwächen benannt.
28. April 2023
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So sollten sie aussehen: reproduzierbare Entgratergebnisse an Bohrungen in der Serienfertigung. Erzielt wurden sie hier mithilfe mechanischer Entgratlösungen© Heule
In Branchen wie der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrt oder dem Sektor Hydraulik und Pneumatik werden Fertigungsprozesse permanent optimiert, um unter den Bedingungen einer Großserie möglichst zeit- und kosteneffizient produzieren zu können. Prozessschritte werden vereinfacht, Durchlaufzeiten verkürzt, und an der Wiederholbarkeit hinsichtlich der Qualität wird ‘gefeilt‘. Vor große Herausforderungen werden die Prozessverantwortlichen unter anderem dann gestellt, wenn Grate an Bohrungskanten auftreten. Dann müssen Lösungen gefunden werden, die die Probleme verursachenden Grate prozesssicher entfernen und gleichzeitig nicht zu viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen.

Für jede Anwendungssituation das passende Entgratverfahren

Wichtige Kriterien für die Auswahl des bestgeeigneten Verfahrens sind die Position des Grats am Bauteil, der verwendete Werkstoff sowie die Fertigungstoleranzen des Bauteils. Auch die Ansprüche an das Entgratergebnis, die Integrierbarkeit in den bestehenden Produktionsprozess, die Maschinenfähigkeiten sowie nicht zuletzt die Investitionsbereitschaft beeinflussen die Wahl der Entgratlösung. Nachfolgend werden die gängigsten Verfahren mit ihren Eigenheiten aufgeführt.
Beim thermischen Entgraten (TEM) wird der abzutragende Werkstoff durch die von einer chemischen Reaktion verursachte große Hitze verdampft. Vor allem bei komplexen Geometrien, kaum zugänglichen Bereichen oder bei vielen Bohrungen ist TEM das bevorzugte Verfahren. Außen und innen liegende Kanten werden im Prozess gleichzeitig entgratet. Fast alle oxidierenden Werkstoffe sind bearbeitbar. Das Ergebnis sind scharfkantige oder leicht verrundete Bohrungskanten. Die Größe der Entgratkammer limitiert die Werkstückgröße respektive die Werkstückmenge. Geprüft werden muss der Einfluss der Wärme auf den Werkstoff und die Geometrie des Bauteils.
Mit solch einem Bohrbild sehen sich Serienfertiger nicht selten konfrontiert. Eine durchdachte Entgratprozess-Gestaltung ist dann gefragt© Heule
Beim elektrochemischen Entgraten (ECM) erfolgt die Gratentfernung mittels anodischer Auflösung von Metall. Angewendet wird es bei fast allen Metallen, sogar bei gehärteten Werkstücken. Weil es sich um ein kontaktfreies Verfahren mit sehr geringem Wärmeeintrag handelt, gibt es keinen Werkzeugverschleiß, keine Bildung von Sekundärgraten und keine mechanische Belastung. Die maximale Gratlänge ist auf ungefähr 0,3 mm limitiert. Das Werkstück muss vor und nach der Behandlung gründlich gereinigt werden.
Beim Hochdruckwasserstrahl-Entgraten (HDW) werden mehrere Kanten gleichzeitig zumeist an schwer zugänglichen Bohrungen entgratet, indem man einen Wasserstrahl mit einem Druck bis 1000 bar gezielt auf die zu bearbeitenden Stellen des Bauteils richtet. Zu prüfen ist, ob sich aufgrund der mechanischen Beanspruchung Partikel an der Bohrungskante lösen und ob infolge der nur bedingten Entfernung der Gratwurzeln raue Oberflächen entstehen.
Beim Strahlen mit Granulaten werden Abrasivstoffe wie Sand mit Geschwindigkeiten von maximal 80 m/s auf die Bohrungskante gelenkt. Auch angrenzende Bereiche werden von der Bearbeitung beeinflusst. Das Reinigen der Werkstücke nach dem Entgraten kann sehr herausfordernd sein.
Beim Bürstentgraten werden die Grate von speziellen Bürstwerkzeugen entfernt. Die Handhabung ist einfach, das Einsatzspektrum aufgrund der zahlreichen Werkzeugvarianten ausgesprochen vielfältig. Die Grenzen für das Bürstentgraten liegen bei größeren Graten, sehr harten Werkstoffen und schwer zugänglichen Stellen.
Unter dem Begriff ‘mechanisches Entgraten‘ wiederum werden Entgratwerkzeuge zusammengefasst, die eine Fertigbearbeitung des Werkstücks direkt auf einem Bearbeitungszentrum ermöglichen. Auch die rückseitige Bearbeitung von Bohrungen und das Erzeugen definierter Kanten sind bei dieser Verfahrensgruppe möglich. Die Verfahren zeichnen sich durch Wiederholbarkeit und hohe Prozesssicherheit aus. Ihre Grenzen haben die Methoden bei schwer zugänglichen Stellen am Teil.
Mechanische Entgratlösungen mit beweglicher Schneide wie hier das Werkzeug ‘Cofa‘ des Entgratspezialisten Heule liefern fertig entgratete Werkstücke direkt von der Maschine© Heule

Einfacher Entgratprozess trotz enger Fertigungstoleranzen

Die Technologien des mechanischen Entgratens sind besonders vielfältig, sodass es sinnvoll ist, deren Eigenheiten etwas genauer zu betrachten. Beim Zirkularentgraten etwa wird mit einem Werkzeug ein vordefinierter Arbeitsweg abgefahren. Je nach gegebenen Fertigungstoleranzen oder Toleranzen aufgrund der Aufspannung kann an gewissen Stellen gar keine, eine zu kleine oder auch eine zu große Fase entstehen. Bei Werkzeugen mit beweglicher Schneide beginnt das Messer erst bei Kontakt mit der Bohrungskante mit dem Entgraten. So können beispielsweise Gussteile mit ihren typischen Toleranzschwankungen zuverlässig und mit gleichbleibendem Entgratergebnis bearbeitet werden.
Bei allen Varianten des mechanischen Entgratens besteht der große Vorteil in der relativ leichten Integrierbarkeit in die vorhandene Werkzeugmaschine, zum Beispiel ein Bearbeitungszentrum. Das Werkstück kommt dann nach einer nur wenig verlängerten Taktzeit fertig produziert von der Maschine. Nachgelagerte intern oder auch extern durchgeführte Bearbeitungsschritte entfallen. Weil die Kosten für Reinigung und Logistik sowie externe Bearbeitungskosten vermieden werden, reduzieren sich die gesamten Prozesskosten und Durchlaufzeiten. Aufgrund der gleichbleibenden Fertigungstechnologie und des einfachen Handlings der Werkzeuge fallen keine Schulungen für das Personal an, und das vorhandene Wissen rund um die Zerspanung kann aktiv genutzt werden.
Hat sich ein Produktionsverantwortlicher für ein Entgratverfahren entschieden, gilt es, die passende Ausführung und den geeigneten Partner zu finden. Ein Praxisbeispiel soll diesen Zusammenhang verdeutlichen.
Innen liegende Bohrungskanten mit Toleranzen wie bei einer Rotorwelle können mit der ‘X-Bores‘-Technologie von Heule zielführend entgratet werden© Heule
So musste ein Anwender aus der E-Mobilität bei einer Rotorwelle innen liegende und schwer zugängliche Kühlbohrungen entgraten − ein Arbeitsgang, den er bis dahin von Hand erledigte. Wegen der Beanstandung eines Kunden musste er ein stabileres, dazu automatisiertes Entgratverfahren für die jährlich rund 1 Million Bohrungen finden.
Bei der zu lösenden Entgratsituation werden Bauteile bearbeitet, die aufgrund der Herstellung aus gezogenen Rohren Schwankungen in der Wandstärke und somit im Durchmesser der innen liegenden Hauptbohrung aufweisen. Das Verfahren Zirkularentgraten kam aufgrund dieser Toleranz-Schwankungen nicht in Frage.
Auf einer Fachmesse wurde der Fertigungsleiter auf Entgratlösungen von Heule Precision Tools sowie deren Werkzeuge mit beweglicher Schneide aufmerksam. Ein gemeinsames Projekt mit der Technologie ‘X-Bores‘ wurde in Angriff genommen, und der Kunde war von der Qualität des Ergebnisses rasch überzeugt. Heute kann er denjenigen Mitarbeiter, der sich bisher für das manuelle Entgraten verantwortlich zeichnete, an einer anderen Stelle im Produktionsprozess einsetzen.
Auch weitere Anwendungsmöglichkeiten hat der Kunde unterdessen bei Heule angefragt; sogar eine kundenspezifische Werkzeuglösung ist in Planung. Denn findet sich in der Standardpalette kein passendes Werkzeug, bietet Heule individuell auf den Kunden zugeschnittene Werkzeuge an. Der Schweizer Entgratspezialist empfiehlt Anwendern, Fachleute wie ihn möglichst früh in den Prozess zu involvieren. Gemeinsam kann dann die Geometrie des Bauteils möglichst entgratfreundlich gestaltet werden, und auch die Voroperationen lassen sich in ihrer Gratbildung optimieren, sodass die Serienfertigung im Endeffekt möglichst zeitoptimiert und wirtschaftlich vonstatten geht.
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Hersteller

Heule Werkzeug AG
CH-9436 Balgach
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