PLUSKomplettbearbeitung

Das Ass im Ärmel

Bacher Medizintechnik mit Sitz in Tuttlingen ist OEM-Hersteller chirurgischer Instrumente. Angesichts steigender Anforderungen an die zu validierenden Prozesse wurde in ein automatisiertes Doppelspindel-BAZ von Chiron investiert. Ein visionärer Schritt in dieser Branche.
24. März 2020
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1 Filigran und feingliedrig: Der nach DIN EN ISO 13485 zertifizierte OEM-Hersteller Bacher hat sich auf Rohrschaftinstrumente für Biopsien und minimalinvasive chirurgische Eingriffe spezialisiert© Bacher
Seit über 60 Jahren widmet sich die Bacher Medizintechnik GmbH der Fertigung hochpräziser Spezialinstrumente, heute mit dem Schwerpunkt auf endoskopische Chirurgie, HNO und Mikrochirurgie. Das von Roland Bacher 1959 gegründete, eigentümergeführte Unternehmen hat sich seit 1990 unter der Leitung von Sohn Ralph Bacher auf der Basis von niedriger Reklamationsquote, hoher Qualität und Flexibilität sowie kurzer Lieferzeiten zu einem Mittelständler mit aktuell 30 Mitarbeitern entwickelt. Mit den beiden Söhnen Patrick, der sich um die kaufmännischen Belange kümmert, sowie Andreas, dem die Produktion obliegt, hat seit 2015 die dritte Generation Mitverantwortung übernommen.
2 Partnerschaft Plus: Haben gemeinsam und erfolgreich ein innovatives Projekt gestemmt (von links): Andreas Bacher, Thorsten Haag und Martin Brenndörfer vor dem 5-Achs-BAZ DZ 12 FX high speed plus von Chiron© Hanser

Der Standort ein Segen, das Baugesuch ein Fluch

Von Beginn an entpuppte sich der kombinierte Wohn- und Firmensitz in Tuttlingen als Volltreffer, schließlich gilt die Stadt als Weltzentrum der Medizintechnik. In den letzten drei Jahren bekamen die Macher bei Bacher aber auch die Restriktionen des Standorts inmitten eines Mischgebiets zu spüren: Waren ein Umzug auf die andere Straßenseite und kleinere Anbauten die Maßnahmen der ersten 50 Jahre gewesen, sollten 2019 in einem letzten großen Erweiterungsbau die verbliebenen Möglichkeiten des Grundstücks voll ausgeschöpft werden – so der Plan. Gründe dafür waren zum einen eine sehr solide Auftragsentwicklung, zum anderen immer schärfere Auflagen hinsichtlich der Prozessqualitäten im Rahmen von Validierungen und Zertifizierungen, die modernste Maschinen- und Anlagentechnik für Zerspanung und Reinigung erforderten. Aber die Genehmigung der Baumaßnahmen wurde zur Hängepartie und eine zentrale Zukunftsinvestition stand zur Anlieferung und Inbetriebnahme bereit, jedoch wäre dann die oft zitierte ›Investition auf der grünen Wiese‹ wortwörtlich zu nehmen gewesen. Später dazu mehr.

Doppelspindel-Konzept führte zum endgültigen Durchbruch

Bei der erwähnten Zukunftsinvestition handelt es sich um ein doppelspindliges 5-Achs-BAZ des Typs ›DZ 12 FX high speed plus‹ mit adaptierter Roboterbeladezelle ›Variocell Uno‹, beides aus dem Hause Chiron. Das Vertikal-Fahrständer-BAZ mit 250 mm Abstand zwischen den beiden Spindeln sowie einem 2-Achs-Schwenkrundtisch mit A-C-Kinematik ermöglicht die doppelspindlige Mehrseitenbearbeitung. In Kombination mit der Variocell-Beladezelle sogar im vollautomatisierten Ablauf.
3 Roboterzelle für den bedienerlosen Betrieb rund um die Uhr: die Variocell Uno mit Fanuc-Handhabungsroboter ist gezielt für die Bedürfnisse von Bacher ausgelegt © Hanser
Produktionsleiter Andreas Bacher: »Als OEM-Hersteller medizinischer Instrumente sehen wir uns permanent mit verschärften Auflagen bei unseren Fertigungsprozessen konfrontiert. So sorgt die neue europäische Medizinprodukte-Verordnung seit Beginn dieses Jahres für einen noch höheren Aufwand bei der Validierung und der Dokumentation unserer Abläufe, allen voran bei der Beseitigung fertigungsbedingter Reststoffe an den Komponenten und Instrumenten. Um diese steigenden Aufwendungen für unsere Kunden weitgehend kostenneutral halten zu können, dürfen wir keine Möglichkeit außer Acht lassen, bisherige Prozesse zu rationalisieren. Der Kauf des doppelspindligen 5-Achs-BAZ von Chiron ist für uns ein zentraler Schritt in diese Richtung, weil wir die Maschine rund um die Uhr mit minimaler Personalbetreuung produktiv betreiben können.«
Zu Beginn des Jahres 2018 wurden erste Kontakte zwischen Bacher und Chiron geknüpft. Mit einem konkreten Spektrum zu fertigender Bauteile und deren Varianten sowie einer Zielgröße für die Bearbeitungsdauer der Komplettbearbeitung dieser Komponenten im Gepäck, machte sich der Tuttlinger Maschinenbauer ans Werk. Martin Brenndörfer, Leiter Anwendungstechnik Medical + Precision bei Chiron: »Zwei Aspekte kennzeichnen unsere Herangehensweise an derartige Projekte: Einerseits hat Chiron sein Maschinenportfolio in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Fertigung komplexer und filigraner Bauteile, wie sie bevorzugt auch in der Medizintechnik zu finden sind, erweitert. Andererseits haben wir schon vor Jahren ein schlagkräftiges Expertenteam für feinwerktechnische Applikationen aufgebaut, in dem die Erfahrungen für das Engineering und die Prozessauslegung effizient zusammenwirken können.«
Der erste Wurf erfüllte zwar die anspruchsvollen Bedingungen in Bezug auf validierbare, reproduzierbare und sichere Prozesse, einzig die gewünschte Taktzeit wurde aufgrund der hohen Stückzahlen verfehlt. Im zweiten Wurf konnte Chiron sich schließlich mit einem Doppelspindel-Konzept nicht nur gegen den verbliebenen Wettbewerber durchsetzen sondern auch die vom Kunden gewünschte Taktzeit unterbieten. »Wir haben unser Ass aus dem Ärmel gezogen, denn doppelspindlige Konzepte sind rar am Markt«, so Brenndörfer. »Bacher hat sich damit innerhalb der Medizintechnik-Branche eine Sonderstellung erworben.«
4 Mutig aber lohnenswert: mit dem Doppelspindel-Konzept für die parallele 5-Achs-Komplettbearbeitung komplexer Komponenten hat sich Bacher eine gute Wettbewerbsposition verschafft© Hanser
Was den OEM-Hersteller dabei besonders überzeugte, bringt Andreas Bacher wie folgt auf den Punkt: »Chiron hat uns nicht nur funktionsfähige, automatisierte Prozesse, sondern auch fertige Bauteile auf den Tisch gelegt. Der Schritt hin zur automatisierten Doppelspindel-Komplettbearbeitung auf einem 5-Achs-BAZ ist für uns ja ein großer gewesen. In zahlreichen Gesprächen und Vorführungen wurden unsere Bedenken beseitigt und der Respekt vor der flexiblen Fertigungszelle abgebaut. Wir haben gespürt, dass wir von diesem Hersteller jedwede Unterstützung bekommen werden, auch über die Inbetriebnahme der Maschine hinaus. Und genau so ist es auch bis heute gekommen. Die Nähe zu Chiron hier am selben Ort trägt natürlich dazu bei und war gerade zu Beginn Gold wert.«

Partnerschaft Plus

Bacher bezieht sich dabei auf eine ganz besondere Hilfestellung: Zum Zeitpunkt der Auslieferung der Maschine war infolge der verzögerten Baugenehmigung weder die Halle noch der vorgesehen Stellplatz fertig. Jedoch wurden die Bauteile dringend benötigt. Kurzerhand räumte Chiron eine Ecke in seiner Produktionshalle frei und man begann mit der Fertigung der Bauteile. Wie für ein sicheres Ramp-up der Produktion üblich, war bis zur Auslieferung der Maschine ständig ein Bacher-Mitarbeiter vor Ort und kontrollierte den Prozess und die Qualität der Bauteile.
5 Flexibilität in der Fertigung: Bacher gibt Fanuc-Steuerungen bei seinem Maschinenpark den Vorzug – auch dieser Präferenz konnte Chiron bei der DZ 12 FX folgen© Hanser
Chiron-Projektingenieur Thorsten Haag: »Es war die pragmatische Lösung für eine unverschuldete Notlage und da steht man an der Seite des Kunden. Diese Übergangslösung hatte den positiven Nebeneffekt, dass wir für den Einstieg eine Produktionsbegleitung leisten konnten. Im Zuge dessen haben wir dann auch Optimierungen vorgenommen. So hat sich der Kratzbandförderer für die sichere Späneabfuhr als suboptimal erwiesen, sodass wir ihn durch einen Scharnierbandförderer ersetzt haben.«
Bacher fertigt heute Komponenten rund um die Uhr. Die maßgeschneiderte Fertigungszelle hat sich als Volltreffer erwiesen. Martin Brenndörfer: »Wir haben bezüglich des Bauraums der Maschine, des Spindelabstands, der Präzisionsklasse sowie der Anordnung und Größe der Variocell-Automationszelle die aktuellen und perspektivischen Anforderungen von Bacher berücksichtigt. Für die zuerst beauftragten Komponenten, die in zwei Aufspannungen teilweise fünfachsig simultan auf Umschlag gefertigt werden, haben wir den Handhabungsroboter mit einem Greifer versehen, der das Rohteil und das angearbeitete Fertigteil greifen kann und über eine Wendestation gedreht wieder zuführt. Auch die Spannvorrichtungen sind für beide OPs geeignet. Zudem haben wir die notwendigen Optionen wie Messtechnik oder auch Werkzeugbruchkontrolle integriert und die Maschine, wie bei Bacher Standard, mit einer Fanuc-Steuerung ausgestattet. Schließlich haben wir mit unseren Werkzeugpartnern eine Erstausrüstung gewählt und auch das für Bacher neue Thema Werkzeugvoreinstellung gemeinsam ans Laufen gebracht.«
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Komponenten mit Freiformflächen kommen quasi fertig zur Montage und auf wenige Hundertstel genau bearbeitet vollautomatisch im Doppelpack von der Maschine. Mit dem inzwischen genehmigten Neubau kann das angestrebte Wachstum bei Bacher mit doppeltem Schwung beginnen.
Information & Service
Bacher Medizintechnik GmbH 78532 Tuttlingen Tel. +49 7461 964853-0 www.bacher-medizinechnik.de