Produktionsplanung und Fertigungsautomation

„Künstliche Intelligenz ist wertvoll, aber nicht zu 100 Prozent zuverlässig“

Automatisierungslösungen für Fertigungsbetriebe gelten schon seit langem als Effizienztreiber. Als Bindeglied zwischen realer und digitaler Welt fungiert bei Fastems die eigene Produktionsplanungssoftware MMS. Im WB-Interview erläutert Torben Petermann, bei Fastems in der Software-Entwicklung tätig, die Besonderheiten der MMS und ordnet die Bedeutung künstlicher Intelligenz in der Praxis ein.
28. Februar 2025
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Torben Petermann ist bei Fastems in der Software-Entwicklung tätig© Fastems
Das Interview führte Martin Ricchiuti
WB Werkstatt+Betrieb: Herr Petermann, welche Rolle erfüllt die Softwareentwicklung bei Fastems?
Torben Petermann: Seitens der Hardware sind in der Automatisierung heute kaum Entwicklungssprünge zu erzielen. Software kann hingegen als der Motor der Digitalisierung bezeichnet werden, da sie die Technologien bereitstellt, die zur Umwandlung von Prozessen, Produkten und Geschäftsmodellen erforderlich sind. Ohne Software wären Fortschritte in der Digitalisierung nicht denkbar.
WB: Wann hat Fastems diese Entwicklung erkannt und entsprechende Prioritäten für die Software gesetzt?
Petermann: Bereits vor über 40 Jahren begann die Softwareentwicklung bei uns im eigenen Hause. Unser Hauptprodukt heißt MMS, die Manufacturing Management Software. Allein im letzten Jahr sind über 40 000 Entwicklerstunden in die Codes dieser Software geflossen. Sie bildet das Herzstück all unserer Automatisierungslösungen. Ein Team von über 30 Entwicklern arbeitet kontinuierlich daran, diese Software unserer Automatisierungslösungen zu verbessern und an aktuelle Kundenherausforderungen anzupassen.
Flexible Fertigungssysteme (FFS) werden als komplexe Automatisierung von der MMS gesteuert. Die Software kann die Produktion automatisch für bis zu 96 Stunden im Voraus planen © Fastems
WB: Was macht den Unterschied zwischen Ihrem Angebot und einem herkömmlichen MES plus Automatisierung aus?
Petermann: Wir denken Automatisierung und Software von vornherein zusammen. Die MMS steuert die gesamte Fertigungsanlage, verwaltet alle Assets, die für einen Fertigungsauftrag benötigt werden und erstellt eine optimale Produktionsplanung, die meine individuellen Anforderungen abbildet. Was uns unterscheidet, ist das umfangreiche Zerspanungs-Know-how, sodass wir die vielen Problemstellungen in einem Fertigungsbetrieb berücksichtigen und Lösungen dafür anbieten können. Soft- und Hardware sind bei Fastems ein miteinander kommunizierendes Gesamtsystem, das ideal auf die Bedürfnisse von Fertigungsbetrieben ausgelegt ist. Diese branchenspezifische Spezialisierung macht unseren Ansatz besonders leistungsfähig.

“KI soll Menschen helfen, Entscheidungen zu treffen, aber nicht selbst entscheiden”

WB: Können Sie uns ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit der MMS geben?
Petermann: Die MMS lässt sich mit einem Großmeister im Schach vergleichen, der zig verschiedene Züge im Voraus plant und auf Änderungen sofort reagieren kann. Für die kommenden 96 Stunden schafft die MMS eine absolute Planungssicherheit, bei der etwa die Werkzeugverwaltung mit einer Standzeitprognose integriert ist. Das Scheduling berücksichtigt die Dringlichkeit, also die termingetreue Auslieferung genauso wie das Vorhandensein sämtlicher Produktionsmittel oder anstehende Wartungsunterbrechungen – Überraschungen, die einen Stillstand nach sich ziehen, werden somit ausgeschlossen.
WB: Setzen Sie für die Planung bereits KI-Tools ein?
Petermann: KI ist ein überaus nützliches Tool, um komplexe Zusammenhänge zu analysieren. Für die Produktionsplanung wäre aber eine KI nicht zuverlässig genug. Wenn über die KI 98 Prozent der Aufträge eingeplant sind, aber nur ein einziger Auftrag vergessen würde, fehlt die dringend benötigte Sicherheit. Deshalb setzen wir auf erprobte Algorithmen, die ohne KI auskommen, dafür aber zu 100 Prozent zuverlässig und prozesssicher sind.
Produktivität und Auslastung auf einen Blick: Das Dashboard der MMS für einen ‘Flexible Pallet Tower’ (FPT) von Fastems zur Automatisierung einer Werkzeugmaschine © Cutmetall Recycling Tools Germany
WB: Spielt KI demnach gar keine Rolle bei Fastems?
Petermann: Doch, denn KI hilft uns dabei, das System besser zu nutzen. Dabei schauen wir zum Beispiel auf unproduktive Leerlaufzeiten. Nicht, um die acht Stunden Stillstand an einem Sonntag besser zu verstehen, sondern um die fünf- oder zehnminütigen Produktionsunterbrechungen richtig zu deuten. Diese stellen einzeln betrachtet zwar keinen Beinbruch dar, summieren sich aber über Wochen und Monate zu nennenswerten Effizienzeinbußen. Mit KI-Tools kommen wir den Ursachen für solche Ausfallzeiten auf die Spur. Davon profitiert nicht nur der direkt betroffene Anwender, sondern die Gesamtheit aller Nutzer. Denn wir können die Fehlerursachen bewerten und nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit priorisieren. Dadurch wird die Fehlerbehebung sehr zielgerichtet und schnell möglich.
WB: Welche Maßnahmen ergreifen Sie, wenn Sie Fehlerquellen identifizieren?
Petermann: Wir unterscheiden zwischen individuellen Problemstellungen in einem Betrieb oder generellen Fehlerursachen. Individuelle Ursachen könnten zum Beispiel im Zusammenhang mit unserem Autopilot auftreten. Ist der Autopilot aktiviert, läuft das gesamte System gemäß der erstellten Fertigungsroutine und erfordert keinen Eingriff vom Bediener. Teile können weiterhin auf- oder abgespannt und Paletten gerüstet werden. In einem Fall konnten wir analysieren, dass der Autopilot beim Schichtwechsel deaktiviert wurde, was zu an sich vermeidbaren Stillstandzeiten führte. Solche Unzulänglichkeiten besprechen wir mit dem Anwender direkt. Handelt es sich um eine Fehlerursache, die generell auftritt, entwickeln wir in kürzester Zeit eine Lösung, die dann per Update oder Patch für alle Anwender verfügbar gemacht wird. Dies ist nur eine Weise, wie wir die Software optimieren. Daneben geht es aber auch um die Vorgehensweise bei der Fehlerbehebung, das heißt, welche Schritte ein Anwender machen muss, um die Fehlerquelle bestmöglich einzugrenzen. Hier kommt bei der Entwicklung des Features ebenfalls KI zum Einsatz, die ähnliche Fälle vergleichen und gewichten kann. So werden auch wenig erfahrene Bediener auf Anhieb in die Lage versetzt, die richtigen Lösungsschritte einzuleiten. Wir nennen das actionable insights, also umsetzbare Erkenntnisse, die innerhalb von myFastems dem Bediener in Form konkreter Vorschläge angeboten werden. Dabei ist myFastems der verlängerte Arm der MMS um unseren Kunden – neben den klassischen Service Tool Features – einfachen Zugang zu solchen KI-Funktionen zu geben. Außerdem fließen das Kundenfeedback, unsere eigenen Analysen und die Erfahrungen unserer Servicetechniker in die Softwareentwicklung ein. So stellen wir sicher, dass wir nahe an den Bedürfnissen der Kunden arbeiten und den kontinuierlichen Verbesserungsprozess weiter fortsetzen. In meinem Team arbeiten wir dafür mit agilen Methoden wie 14-tägigen Sprints, um Feedback schnellstmöglich in die Software zu implementieren.

“Wir realisieren minimale Down-time bei maximalem Output in der Up-time”

WB: Wir haben bislang über die Verbesserung von Maschinenlaufzeiten und das Eingrenzen von Fehlerquellen gesprochen. Welche Ansätze zur Optimierung der Gesamtperformance gibt es außerdem?
Petermann: Der störungsfreie Betrieb alleine ist nur einer der Stellschrauben für eine effiziente Produktion. Eine Fertigung ist sehr komplex aufgebaut und lässt viele Variablen zu: Welche Aufspannung wähle ich für die Teile, wie erstelle ich passende NC-Programme, habe ich eine fünf- oder sogar sechsseitige Bearbeitung und so weiter. Diese Herausforderungen begleiten mich seit meiner Zeit als Trainer für effiziente Produktionsstrategien. Hier geht es in erster Linie darum, die Potenziale einer automatisierten Fertigung möglichst vollständig auszuschöpfen. Häufiges Umspannen etwa verlängert die Rüstzeiten; mit einer smarteren Programmierung lassen sich aber diese Schritte reduzieren. Hier ist ein Umdenken vor allem von Betrieben gefordert, die noch wenig Erfahrung mit automatisierten Fertigungsanlagen haben. Um beim Beispiel der Aufspannsituation zu bleiben: Wenn man einen Low-Volume/High-Mix an Teilen mit Spanntürmen oder -pyramiden auf 30 oder 40 Paletten abbilden möchte, sollte auch die Programmierstrategie darauf ausgelegt sein. Fastems adressiert diese Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen: Natürlich im direkten Kontakt mit dem Anwender, aber auch dem technischen Support, der bei einem Zugriff auf die MMS meist mit wenigen Klicks feststellen kann, wo noch Potenziale liegen. Im Modul factory cockpit sind die Informationen zum gesamten Fertigungsbetrieb gebündelt – in Echtzeit. Die aggregierten Daten sind bereits aufbereitet und werden übersichtlich visualisiert. Das schafft Transparenz über einzelne Unternehmensbereiche hinweg und macht fundierte, aber dennoch schnelle Entscheidungen möglich – an jeder Stelle im Unternehmen.
Portalroboter versorgen mehrere CNC-Maschinen mit Werkzeugen. Die MMS übernimmt auch die Werkzeugverwaltung und Prüfung der Werkzeugstandzeiten © Fastems
WB: Welche Effekte können Sie bei neuen Anwendern, welche die MMS erstmalig nutzen, feststellen?
Petermann: Das Dashboard der MMS wird für viele zur bevorzugten Informationsquelle, noch vor dem Blick in den Maschinenraum. Noch wichtiger ist, dass die MMS einen Entscheidungsrahmen vorgibt, der dem Benutzer Spielraum zum Handeln lässt, was für die Akzeptanz bei Mitarbeitenden unabdingbar ist. Ich habe selbst schon beobachtet, wie dies das Interesse und die Motivation etwa beim Maschinenbediener weckt, der Ursache auf die Spur zu kommen. Insofern beflügelt die MMS jeden Benutzer, selbstständig zielgeleitete Maßnahmen zu ergreifen - oder immerhin mit den Prozessbeteiligten in den Austausch zu gehen.
WB: Was sehen Sie als kommende Entwicklungsperspektiven?
Petermann: Die Produktionsplanung, so wie wir sie denken, führt Teil für Teil durch den gesamten Fertigungsprozess. Jedem äußeren Einfluss, ob Werkzeugbruch oder Terminänderung, wird sofort Rechnung getragen – immer in Abhängigkeit zur aktuellen Auslastung und der übrigen Aufträge. Dank der KI-Unterstützung zur Fehlersuche, -behebung und Laufzeitoptimierung sind Verfügbarkeit und Durchsatz einer Fastems-Automatisierung schon heute besonders hoch. Wir arbeiten weiter daran, dass alle Anwender dem Ideal der 8760 Stunden Produktivbetrieb pro Jahr nahe kommen. Dafür werden wir unter anderem eine Lernplattform in myFastems integrieren, die Anwendern auf den unterschiedlichen Stufen ihrer Automatisierungsreise konkrete Hilfestellungen gibt.
WB: Vielen Dank für das Gespräch.
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