PLUSPräzisionswerkzeuge

Tool-Tuning für die Fräse

Fräswerkzeuge – Automobilbau-Ausstatter – Drehtischlager

Kompakte Sonderfräser von Avantec befähigen die Fördertechnik-Profis von Expert-Tünkers, komplexe Kugelkränze an Drehtischgehäusen so schnell und genau auf einer Fräsmaschine zu fertigen, dass das Drehen entfällt. Prozessflexibilität und -effizienz nahmen deutlich zu.
5. Dezember 2019
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Bild 1: Der ultra-kompakte Sonderfräser, den Avantec für Expert-Tünkers entwickelte, nach dem Schruppfräsen des Kugelkranzes an einem Drehtisch-Gehäuse© Hanser
Die Intelligenz wandert ins Werkzeug. So heißt ein Trend in der Zerspanung. Gemeint ist, dass Sensorik, Displays und andere elektronische Features Fräsern oder Bohrern Fähigkeiten verleihen, die man sonst der CNC-Maschine zuschreibt. Doch die Praxis zeigt, dass der Begriff der Intelligenz weiter gefasst werden muss, und zwar im Hinblick auf eine clevere Gestaltung der Werkzeugkörper selbst. Ein Hersteller, der diesen Aspekt verdeutlicht, ist Avantec, Frässpezialist aus Illingen. Bei seinem Kunden Expert-Tünkers im hessischen Lorsch gelang es ihm, mithilfe zweier Sonder-Fräswerkzeuge eine knifflige Fertigungsaufgabe zu lösen: das hochgenaue, schnelle Fräsen von Kugelkränzen auf einer konventionellen Universal-Fräsmaschine.
© Hanser
Positionieren, Takten, Drehen − Automation in allen Dimensionen. Das sind die Schlagworte, mit denen Expert-Tünkers das eigene Tätigkeitsfeld charakterisiert. Gegründet 1961, versteht sich das Unternehmen als internationaler Marktführer auf dem Gebiet dynamischer Fördersysteme und Drehtische. Und diese verrichten ihren Dienst fast ausschließlich in der Automobilindustrie. Den Hessen zufolge ist es egal, in welches Auto man einsteigt − wahrscheinlich sei es dereinst mit Tischen von Expert-Tünkers gedreht oder mit Transporttechnik aus Lorsch durch die Werkhalle bewegt worden.

Die hohe Kugelkranzpräzision sollte möglichst einfach zu erzeugen sein

Zu dem Qualitätsanspruch, den man bei Expert-Tünkers pflegt, gehört eine ausgeprägte Fertigungstiefe, sodass für jedes zu erzeugende Formelement eigenes Know-how zum Tragen kommt. Sogar die Lager der Drehtische stellt man in Lorsch selbst her. Schließlich müssen die relativ langsam laufenden Tische hohe Lasten nicht nur schnell sowie stoß- und ruckfrei bewegen, sondern auch mit hoher Präzision.
Ein zentraler Arbeitsschritt in der Drehtischfertigung ist das Einbringen umlaufender Nuten in das Gehäuse, in denen später die Lagerkugeln rollen, sogenannte Kugelkränze. Es liegt auf der Hand, dass besonders diese in puncto Form-, Maß- und Lagegenauigkeit sehr hohen Anforderungen genügen müssen. »Die Genauigkeitsanforderungen nehmen stetig zu«, berichtet Alexander von Schwech, Arbeitsvorbereitung Bereich Technologie bei Expert-Tünkers. »Aktuell reden wir hier von höchstens zwei Hundertsteln Abweichung im Durchmesser, in der Höhe und im Planlauf sowie von H7-Qualitäten bei den Passungen.«
Doch die zunehmende Präzision war nicht der Hauptgrund, der die Fertigungsspezialisten in Lorsch bewog, nach einer alternativen Technologie zum Erzeugen der Kugelkränze Ausschau zu halten. Viel schwerer wog ein Verbesserungspotenzial in puncto Fertigungsorganisation und Kosten. Alexander von Schwech: »Ursprünglich hatten wir die Kugelkränze auf einer separaten Portalfräsmaschine gedreht. Das war relativ aufwendig. Nachdem dann in zwei Drehfräszentren investiert worden war, konnten wir das gesamte Gehäuse mindestens doppelt so schnell und auch präziser komplettfertigen. Aufgrund steigender Nachfrage reichte die Kapazität der Zentren jedoch nicht aus; zu einer weiteren Abarbeitung stand uns aber nur eine einfache Fräsmaschine zur Verfügung, die ursprünglich für andere Aufgaben vorgesehen war.«
Bild 3: Auf jede Schraube eine Platte: Extreme Platzausnutzung ist ein Merkmal des Xtra Kontur, den Avantec für Expert-Tünkers gestaltete; hier als Screenshot© Avantec
So stellte sich die Frage: Wie kann auf der im Vergleich zu einem Drehfräszentrum gut halb so teuren Universal-Fräsmaschine mit ganz anderer Kinematik eine dem Drehen adäquate Performance erreicht werden? Eigentlich gar nicht, drängt sich als Antwort auf. Aber mit ihr wollte man sich in Lorsch nicht zufrieden geben und fragte den Werkzeugpartner Avantec um Rat.
Ralf Unzeitig, Technische Beratung und Verkauf bei Avantec, analysierte den Sachverhalt und erkannte rasch, dass dieses Problem mit den Möglichkeiten von Avantec durchaus gelöst werden kann. »Ausgehend von den Erfahrungen mit ähnlichen Werkzeugen definierten wir die hier maßgeblichen Anforderungen. So war ein außergewöhnlich kompakter Fräser gefragt. Zudem mussten die Wendeschneidplatten zu einer hohen Leistung fähig sein.«
Unzeitig und sein Team skizzierten erste Werkzeug-Entwürfe, denen zunächst die Erfordernisse zweier ausgewählter Tische zugrunde lagen.
Anwender
Expert-Tünkers findet man überall dort, wo in Automobil-Werkhallen Funken sprühen, wo Karosserieteile durch lange Fügestraßen gleiten und Industrieroboter agieren. Alle großen Automobilhersteller setzen auf die Automationslösungen der Lorscher Spezialisten im Takten und Positionieren. Die rund 150 Mitarbeiter erwirtschaften mit den Drehtischen, maßgeschneiderten Förderanlagen und Roboterachsen für den Automobil-Rohbau einen Jahresumsatz von 40 bis 45 Millionen Euro. Seit 2006, dem Jahr der Übernahme von Expert durch die Tünkers-Gruppe, verdreifachte sich der Umsatz nahezu. Es wird auch wieder kräftig investiert, zuletzt 2018 in eine neue Montagehalle und 2019 in neue Maschinentechnik.
Expert-Tünkers GmbH, 64653 Lorsch, Tel. +49 6251 592-0, www.expert-tuenkers.de
»Problematisch war die Komplexität der Konturen, die auf den ersten Blick gar nicht so offensichtlich ist«, erläutert Hermann Lerner, Teamleiter Produktion und Antriebstechnik bei Expert-Tünkers. »Und diese Konturen sollten bei jeder Gehäusegröße zuverlässig und präzise herstellbar sein.« Ralf Unzeitig: »Angesichts der vielen Störkanten und der nötigen Leistung zum Spanen ins Volle waren möglichst viele Wendeschneidplatten vorzusehen. Andererseits mussten wir, um die angestrebte Qualität zu erzeugen, den Fräser immer mehr verkleinern. Das war die Herausforderung.« Ein weiteres Ziel sei es gewesen, die Vielfalt der Wendeschneidplatten klein zu halten.
Bild 4: Jeder Xtra Kontur trägt wie hier rechts in der 80-mm-Version zwölf verschiedene Wendeschneidplatten. Hinten der Schlicht-Scheibenfräser Xtra MT 90© Hanser

Eine Leistungsfähigkeit realisiert, die sonst dem Drehen vorbehalten ist

Und all diesen Herausforderung zeigten sich die Beteiligten gewachsen. Ein Resultat ihrer Bemühungen war ein sehr kompakter Sonder-Multi-Formfräser ›Xtra Kontur‹ zum Schruppen. In Lorsch gibt es ihn in den Basisgrößen 50 und 80 mm, bestückt mit acht und zwölf Wendeschneidplatten in jeweils vier Ausführungen. Ergänzt wird er von einem Sonder-Scheibenfräser mit zwei verschiedenen MO-Wendeschneidplatten, einer nach oben und einer nach unten, für die nachfolgende Schlichtoperation, die das Höhenmaß in H7 erzeugt. Und zum Vorfräsen einer unterschiedlich tiefen einfachen Nut lieferte Avantec einen Standard-Scheibenfräser CB18 gleich mit.
Alexander von Schwech verhehlt seine Freude darüber nicht, dass er den »Wahnsinn«, wie er das vor ihm liegende Problem einst bezeichnete, mithilfe von Avantec in eine hocheffiziente Fertigungslösung verwandeln konnte: »Obwohl wir die Konturen auf einer konventionellen Fräsmaschine herstellen, sind diese wie gefordert nicht nur reproduzierbar maßgenau mit hoher Oberflächenqualität; wir sind auch schnell.« Damit sei man nicht nur so genau wie mit dem Drehen, sondern benötige auch kaum mehr Fertigungszeit. »Etwa gleich schnell bei gleicher Qualität − ein solches Ergebnis übertraf unsere Erwartungen«, bestätigt auch Hermann Lerner. »Das hat meine Überzeugung, man könne solche Konturen nie so gut fräsen wie drehen, gehörig auf den Kopf gestellt.«
Bild 5: Ihr Werkzeug machte die ›Fräse‹ zum Tausendsassa (von links): Alexander von Schwech, Arbeitsvorbereitung Bereich Technologie bei Expert-Tünkers, Ralf Unzeitig, Technische Beratung und Verkauf Avantec, und Hermann Lerner, Teamleiter Produktion und Antriebstechnik bei Expert-Tünkers© Hanser
Ralf Unzeitig ergänzt: »Diese Performance ist auch auf unser Know-how bezüglich anspruchsvoller hochpositiver Wendeschneidplatten zurückzuführen. Erst diese Schneiden ermöglichen eine solch sanfte Spanbildung, wie sie zum Erzeugen einer hohen Oberflächengüte nötig ist.«
Mit dieser Werkzeuglösung fühlen sich die beiden Fertigungsfachleute von Expert-Tünkers für eine effiziente Eigenfertigung ihres Kernprodukts ›Tischgehäuse‹ auf lange Sicht gut aufgestellt. Denn das Zukaufen solcher Bauteile ist nach ihrer Erfahrung heutzutage aus betriebswirtschaftlicher Sicht kaum noch vertretbar.
Alexander von Schwech hat noch einen Rat für andere Zerspaner: »Eine solche Lösung ist für all diejenigen interessant, die ihren Maschinenpark zurzeit nicht erweitern können, sondern mit dem Vorhandenen zurecht kommen müssen. Auch wenn Sonderwerkzeuge deutlich teurer sind als Standardprodukte − die Einspareffekte wiegen die Mehrkosten auf, ebenso wie der Nutzen, der aus einer flexibleren Fertigung resultiert.« Unter Umständen könne man sogar eine Fremdfertigung wieder zurück ins eigene Haus holen.
So bleibt die Erkenntnis: Erwächst Intelligenz, die ins Werkzeug wandert, aus Bits und Bytes, wird ihr ganz sicher Anerkennung zuteil. Basiert sie auf cleverer mechanischer Konstruktion, kann sie sogar begeistern.