Abrichten von Schleifscheiben mit Diamantwerkzeugen

Schlüssel zum idealen Traganteil

Die moderne Mobilität stellt höhere Anforderungen an Verbrauch, Geräuschemission und Leistungsdichte. Bei Reibpartnern in Getrieben und Zylindern gibt neben der Oberflächenrauheit der Traganteil Auskunft über deren Güte. Hier zeigt sich die hohe Bedeutung des Abrichtens.
27. Juni 2023
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Bild 1: Auszug aus der DIN EN ISO 4287 [3]© Weise
von Frank Weise
Neben den bekannten Kenngrößen der Oberflächenrauheit wie Ra, Rz, und Rmax gewinnen die mit der Amplitudenverteilung in Verbindung stehenden Oberflächenkenngrößen an Bedeutung. Hintergrund sind die allgemein gestiegenen funktionellen Anforderungen an die technischen Oberflächen. Praxisbeispiele dafür sind:
  • Verzahnungen in Pkw-Getrieben: Hier geht es um die Senkung der Reibungsverluste durch bessere Mikrogeometrie. In der Praxis sollen verbesserte Trageigenschaften der Oberflächen an den Zahnflanken dazu beitragen, den Kraftstoffverbrauch zu senken. [1]
  • Verzahnungen im Lkw-Bereich: Besonderes Ziel ist hier die Erhöhung des übertragbaren Drehmoments, wodurch vielfach ein Downsizing des Motors möglich wird. [1]
  • Pkw-Dieselmotor: Das verfolgte Ziel ist hier die Senkung des Kraftstoffverbrauchs und des CO2-Ausstoßes durch eine Optimierung an den Oberflächen der Reibpartner. Es wurde festgestellt, dass circa 50 Prozent aller Reibungsverluste an einem 4-Zylinder-Dieselmotor in der Kolbengruppe zwischen Kolben, Kolbenringen und Zylinderlaufbahn auftreten, weitere 22 Prozent im Tribosystem der Kurbelwelle [2]. Bei einem deutschen Fahrzeugproduzenten konnte eine Reibleistungsreduzierung von 33 Prozent durch Lagerflächenoptimierung an der Kurbelwelle und 31 Prozent durch besondere Beschichtungstechnologie und Oberflächenbearbeitungen an der Kolbengruppe erzielt werden.
Die Beispiele belegen das enorme Potenzial, das in der Optimierung der Oberflächen-Kennwerte ruht.
Bild 2: Rauheit Ra über dem Zyklus beim Einstechschleifen gehärteter Teile aus 100Cr6© Weise

Definitionen

Die Ermittlung der Amplitudenkennwerte der Rauheit erfolgt in der Regel mittels Tastschnittgerät. In den eigenen Versuchen erfolgte dies mittels des ‘Talysurf’ von Rank Taylor Hobsen. Die ermittelte Amplitudenverteilung stellt den sogenannten Materialanteil dar (engl. ‘Bearing Ratio’), das entspricht der Abott’schen Traganteilkurve. Diese Kurve repräsentiert die Summe der Ordinatenwerte des Rauheitsprofils in den verschiedenen Schnitttiefen.
Für technische Oberflächen ist die Amplitudenverteilung sehr relevant, hängen von der Form der Unebenheiten wichtige Eigenschaften ab, wie etwa das Schmierungsverhalten und die Ölaufnahme von Gleitpaarungen oder auch das Pressungsverhalten von Pressverbindungen und viele andere.
In die Amplitudenverteilung gehen charakteristische Ausbildungen der Bearbeitungsspuren ein, beispielsweise von Drehriefen. Wird dagegen nur ein bestimmtes Bearbeitungsverfahren betrachtet, wie hier das Schleifen, vereinfacht sich die Beschreibung etwas, da die Oberflächenstrukturen dann ähnlich sind.
So werden in der Praxis an geschliffenen Oberflächen heute meist die Horizontalkennwerte Rar und Rmr(c) vorgegeben. Die Definition liefert die Norm DIN EN ISO 4287. Der Materialanteil bezieht sich dabei auf die Messstrecke ln.
Um die Empfindlichkeit der Bestimmung des Traganteils zu senken, bezieht man neuerdings die Messung nicht mehr auf den höchsten Punkt des Profils, sondern in der Regel auf die Referenzschnitthöhe c0. Diese ergibt sich durch das Verschieben der Bezugslinie ins Profil bis zu einem definierten Materialanteil, zumeist wird fünf Prozent verwendet. Von dieser Referenzschnitthöhe wird die Schnittlinienhöhe Rδc ins Teil hinein verschoben. Dieses Rδc wird vom Konstrukteur auf Basis der funktionellen Anforderungen vorgegeben (Bild 1).
Bild 3: Rauheit Ra und Traganteil Rmr in Abhängigkeit vom Abrichtvorschub© Weise

Untersuchungen an geschliffenen Teilen

Es steht die Frage, wie der Schleif- und der Abrichtprozess den Traganteil der geschliffenen Oberfläche beeinflussen. Es ist zu erwarten, dass die Schleifscheibenspezifikation einen Einfluss hat, aber auch das Abrichtverfahren und das Abrichtwerkzeug. Da zu diesen beiden Schwerpunkten bisher keine umfassenden Untersuchungen vorliegen, erfolgten in Zusammenarbeit mit einem deutschen Kugellagerfertiger und Automobilzulieferer breit angelegte Abricht- und Schleifversuche.
Es wurden Abrichtversuche gefahren mit verschiedenen Formrollen in Metallbindung unterschiedlicher Körnung, Belagbreite und Konzentration beim zylindrischen Abrichten von Korund- und Sinterkorundscheiben. Alle Parameterkombinationen beim nachfolgenden Rundschleifen von gehärteten Teilen aus 100Cr6 sind bis zum Zyklus 10 gefahren worden.
Zunächst unterstreichen die Versuche die bekannte Tatsache der steigenden Rauheit Ra über dem Zyklus (Bild 2). Bemerkt werden muss hier, dass es sich bei diesen Kurven nicht um eine singuläre Tendenz handelt. Vielmehr wurden gemäß eines Faktorplans tausende Versuchskombinationen gefahren, die eine Datenkomprimierung erforderten. In Bild 2 wurden für jeden Werkstoff die Mittelwerte aller gleichen Versuche herangezogen. Sehr augenscheinlich ist hier, dass die gröberen Sinterkorundscheiben (SK) die besten Ergebnisse bringen.
Bild 4: Zusammenhang zwischen Traganteil Rmr und Rauheit Ra beim Schleifen mit der Sinterkorundscheibe SK120© Weise

Einfluss des Abrichtvorschubs

Zur Ermittlung der Haupteinflussgrößen wurden umfangreiche Korrelationsanalysen durchgeführt. In deren Ergebnis kristallisieren sich diese Einflüsse deutlich heraus. Es ist festzustellen, dass der Abrichtvorschub über alle angewendeten Schleifscheiben und Formrollen den höchsten Einfluss auf Rauheit und Traganteil nimmt. Die Einzeltendenz von Rauheit Ra und Traganteil Rmr in Abhängigkeit des Abrichtvorschubs zeigt exemplarisch Bild 3.
Die Tendenz wurde aufgenommen mit drei verschiedenen Formrollen FR2 (Diamant-Körnung D601, Belagbreite 4 mm, Diamant-Konzentration C100), FR7 (Diamant-Körnung D426, Belagbreite 4 mm, Diamant-Konzentration C135) und FR6 (Diamant-Körnung D426, Belagbreite 4 mm, Diamant-Konzentration C60).
Wenn die Rauheit Ra steigt, dann fällt Rmr und umgekehrt: Wenn die Rauheit kleiner ist, erhält man höhere Traganteile. Dies hat auch seine Logik. Da die Schnitttiefe als fest gegeben ist, ist man sozusagen bei geringerer Rauheit mehr im Inneren des Profils mit höherem Materialanteil.

Einfluss des bezogenen Zeitspanvolumens

Zweitwichtigste Einflussgröße ist das bezogene Zeitspanvolumen Qw’. Da in den Versuchen alle Teile die gleiche Geometrie haben, verbirgt sich das Qw’ im Radialvorschub. Auf die Rauheit Ra wirkt sich ein höheres Qw’ steigernd aus, auf Rmr wiederum senkend. Dieser Zusammenhang zwischen Ra und Rmr wurde auf seine Strenge hin untersucht. Dafür wurden alle Werte einer Serie, beispielsweise der Scheibe SK120, als Rmr über Ra aufgetragen. Ausgewählt wurden dafür die Werte für den Zyklus 1, 5 und 8.
Der Zusammenhang zeigt in Bild 4 einen hyperbolischen Abfall, in der Darstellung im doppeltlogarithmischen System wird daraus eine abfallende Gerade. Die Punkte für Zyklus 1, 5 und 8 fügen sich ohne Sprung aneinander. Diese Gerade hat einen gewissen Streubereich, was auf mindestens eine weitere Einflussgröße hindeutet.
Bild 5: Veränderung der Skewness Rsk und Kurtosis Rku über dem Zyklus© Weise

Einfluss auf Skewness und Kurtosis

Deshalb ist eine vertiefte statistische Auswertung mithilfe der statistischen Kennwerte Rsk (Skewness) und Rku (Kurtosis) vorgenommen worden. Die Skewness interpretiert die Schiefe der Normalverteilung der Axialwerte. Ein offenes Profil mit dominanten Spitzen und breiteren Tälern hat eine positive Skewness, ein plateauförmiges Profil mit schmalen Tälern besitzt eine negative Skewness. Die Kurtosis weist auf die Breite der Normalverteilung hin, der Begriff bedeutet ‘Wölbung’. An geschliffenen Profilen bedeuten beispielsweise Werte über 3 eine hohe Anzahl sehr spitzer Gipfel und sehr spitzer Täler.
Die Rsk- und Rku-Verläufe geben zwar keinen direkten Hinweis zur Lage im Streubereich der Ra-Rmr-Kurven. Das liegt darin begründet, dass es sich von der Definition her um unterschiedliche Kategorien handelt: Ra ist ein Vertikalmaß, Rmr, Rsk und Rku sind Horizontalmaße. Aber allein die Tatsache, dass sich Rsk über dem Zyklus stark ändert, zeigt auf, dass sich am Oberflächenprofil etwas stark ändert (Bild 5).
Deutlich ist die Tendenz von Rsk, die Skewness verliert Minus und geht mehr zu positiven Werten am Zyklusende hin, das heißt, tendenziell geht die Amplitudenverteilung vom Plateau zum mehr offenen Profil über. Die Kurtosis Rku verliert vom ersten bis etwa dem dritten geschliffenen Teil, um danach bis zum Zyklusende etwa konstant zu bleiben. Die Anfangswerte von 5 bis 9 gehen über in Werte von 3 bis 5, die Profile verlieren also etwas an spitzen Täler und spitzen Spitzen.
Über alle in den Versuchen gemessenen Werte gemittelt, liegt der Mittelwert Rsk für das vorhandene Schleifgefüge im Minus, das heißt, die Plateauform ist vorherrschend.
Buch zum Thema

Abrichten von Schleifkörpern mit Diamantwerkzeugen

Autor: Frank Weise
Das Fertigungsverfahren Schleifen ist als industrielles Feinbearbeitungsverfahren wegen steigender Anforderungen an die Oberflächenrauheit und die einzuhaltenden Maß- und Formtoleranzen unverzichtbar. Das Buch dient vorrangig dazu, neben der eigentlichen Schleiftechnologie die dem Schleifen vorgelagerte Problematik des Abrichtens verständlich zu machen. Es enthält:
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ISBN: 978–3–446–46972–3

Einfluss des Abrichtwerkzeugs

Von weiterem Interesse ist es, wie die Parameter des Abrichtwerkzeugs, der verwendeten metallgebundenen Diamant-Formrollen, sich auswirken. Es ist ein merkbarer Einfluss der verwendeten Formrolle zu erkennen. Die Variation betrifft die Körnung, die Konzentration und die Belagbreite der Formrollen, ermittelt an den Schleifscheiben SK120 und SK150.
Die Diamant-Körnung wirkt im Vergleich der FR2 mit D426 und FR3 mit D601 zwar unbestimmt, nämlich mit leicht höheren Rauheitswerten an der Körnung D426 gegenüber D601. Im RSK-Wert ist jedoch ein deutlich kleinerer Wert festzustellen. Über der Belagbreite fallen die Rauheit und RSK, RKU steigt und gleichfalls über der Diamant-Konzentration in der Formrolle fallen Rauheit und RSK, auch hier steigt RKU.
Im Ergebnis der Untersuchungen führt das zur Erkenntnis, für hohe Traganteile und funktionsgerechten Oberflächen nicht zu fein gekörnte Formrollen zu verwenden und die weitere Anpassung an den Schleifprozess besser über die Konzentration und die Belagbreite vorzunehmen.

Ergebnisse und Fazit

Die beschriebenen umfangreichen Untersuchungen lassen folgende Schlussfolgerungen zu:
  • Es scheint, dass die Traganteile der geschliffenen Teile mit stehenden Abrichtern, insbesondere Abrichtplatten, mit Formrollen und Profilrollen in weiten Bereichen zu steuern sind.
  • Bei gegebenem Verfahren erscheint es deutlich, dass alle Maßnahmen, welche die Rauheit senken, auch den Traganteil erhöhen. Vorteilhaft ist dafür zunächst die Wahl von Sinterkorund-Schleifscheiben, die Anwendung großer Übedeckungsgrade bei Einsatz von stehenden Abrichtern beziehungsweise geringer Abrichtvorschübe bei Formrollen und allgemein ein geringes bezogenes Zeitspanvolumen Qw’. Feinere Körnungen der Schleifscheibe nützen nicht viel.
  • Umgekehrt gilt folgendes: Wenn ein bestimmter Taganteil erreicht werden muss, dann sind der Schleif- und der Abrichtprozess so zu steuern, dass eine damit korrelierende Rauheit Ra eingehalten wird.
  • Aufgrund der Verschiebung der Schiefe der Normalverteilung (Skewness) von negativ hin zu positiv ist es ratsam, den Zyklus beim Schleifen nicht auszuschöpfen.
  • Für hohe Traganteile an funktionsgerechten Oberflächen sind nicht zu fein gekörnte Formrollen im Bereich D601 und D711 zu verwenden und die weitere Anpassung an den Schleifprozess besser über höhere Diamant-Konzentrationen und größere Belagbreiten vorzunehmen.
Dieser Fachartikel ist ein Auszug aus der überarbeiteten und ergänzten Fassung des Kapitels 16 des Buchs ‘Abrichten von Schleifkörpern mit Diamantwerkzeugen’ [4].
Information & Service

Autor

Dr.-Ing. Frank Weise betreibt Technologieberatung in Bruchköbel. Er ist Autor des Fachbuchs ‘Abrichten von Schleifkörpern mit Diamantwerkzeugen’, das im Carl Hanser Verlag erschienen ist.
weiseconsult@icloud.com

Unternehmens­information

Literaturhinweise

[1] Friedrich Wölfel: Wälzschleifen im Wandel – neue Einsatzbereiche und mehr Intelligenz in Maschine und Prozess, 6th European Conference of Grindig 20.11.2019

[2] Stefan Schweickert: Entwicklung des Verbrennungsmotors und Auswirkungen auf die Schleiftechnik, 6th European Conference of Grindig 20.11.2019

[3] DIN EN ISO 4287: 10/1998: Geometrische Produktspezifikation (GPS), Oberflächenbeschaffenheit: Tastschnittverfahren: Benennungen, Definitionen und Kenngrößen der Oberflächenbeschaffenheit, Beuth-Verlag 1998 aus http://www.hs-augsburg.de/~roessner/downloads/voberflaechenkon.pdf

[4] Frank Weise: Abrichten von Schleifkörpern mit Diamantwerkzeugen, Carl Hanser Verlag München 2021