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Präzise stets aufs Neue
Beschichtungen – Hartmetallwerkzeuge – Wiederaufbereitung
Wie lassen sich beschichtete Hartmetall-(HM-)Werkzeuge am effizientesten wiederaufbereiten? Oerlikon Balzers gibt mit Services zum Entschichten, Vor- und Nachbehandeln und Wiederbeschichten darauf eine Antwort. Tests am ISF Dortmund bestätigten die Wirksamkeit.
7. November 2019
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Beim Wiedaufbereiten präziser und teurer beschichteter Hartmetallwerkzeuge wie Tief- und Präzisionsbohrer oder Reibahlen müssen bislang noch viele Kompromisse gemacht werden. Schon das Entschichten mit bisherigen Methoden kann die HM-Oberfläche schädigen oder in Abweichungen der Mikrogeometrie resultieren, was in vielen Fällen nicht akzeptabel ist. Die gesamte Problematik der Wiederaufbereitung lässt sich gut am Beispiel von Tieflochbohrern zeigen.
Das Nachschleifen der Werkzeuge bringt bislang oft Probleme mit sich
Tiefbohren in Serie wird am häufigsten in der Automobilherstellung angewandt, vor allem für die Herstellung von Bohrungen im Antriebsstrang. Dabei wird das Werkzeug extrem beansprucht. Durch den zunehmenden Einsatz von Stählen mit hohem Anteil an Chrom oder entsprechenden Legierungselementen entstehen leicht Aufschmierungen.
Meist ist nur der Werkzeugkopf beschichtet, nicht aber die Spannut. Und das hat seinen Grund. So haben unbeschichtete Spannuten bei einem Neuwerkzeug sehr feine Oberflächen und lassen die Späne bei der Bearbeitung besser abfließen als beschichtete.
Die dabei entstehenden Reibungen beim Späne-Abtransport führen aber auch hier zu Aufschmierungen und Auswaschungen am unbeschichteten Hartmetall. Das beeinträchtigt die Oberfläche nach der Wiederaufbereitung signifikant, sodass es zu einer schlechteren Späneabfuhr und verklemmten Spänen bis hin zum Werkzeugbruch kommen kann.
Bei der bisherigen Wiederaufbereitung wird der beschichtete Kopf teils gekappt und das Werkzeug nachgesetzt. Diese Verkürzung beschränkt die Anzahl der Wiederaufbereitungszyklen. Noch öfter wird der Bohrer direkt nachgeschliffen und eine neue Beschichtung über die vorhandene Rest-Beschichtung aufgetragen. Das kann sich jedoch negativ auf die Schichthaftung und die Bohrtoleranzen auswirken.
So gibt es oft Probleme mit nachgeschliffenen Werkzeugen: Oberflächenwerte, Standzeiten und somit Prozesssicherheit leiden und verschlechtern sich nach jedem neuen Einsatzzyklus. Zudem ist die Wiederaufbereitung oft ein langwieriger Prozess, bei dem ein Werkzeug für die nötigen Serviceschritte mehrfach transportiert werden muss. All das erhöht die Umlaufbestände und wirkt sich negativ auf die Prozesssicherheit und die Stückkosten aus.
Lösungswege aus dieser Zwickmühle eröffnet nun ein neues Servicepaket des Beschichtungsspezialisten Oerlikon Balzers. Es besteht aus zwei Bausteinen. Zum einen umfasst der Service ›primeTreat‹ eine spezielle Vor- und Nachbehandlung, optional auch eine Schneidkantenpräparation. Mithilfe von primeTreat wird beispielsweise bei einen HM-Tieflochbohrer zunächst die unbeschichtete Spannut geglättet. Mit einer zusätzlichen Behandlung bis zum Spannutauslauf des beschichteten Werkzeugs ergeben sich sehr gute Oberflächen- und Rauigkeitswerte (Ra und Rz). Zum anderen bezeichnet ›inShape‹ das Entschichten schon verwendeter Werkzeuge, die mit den Bohr- und Reibwerkzeugschichten Balinit Pertura und Balinit Latuma beschichtet und wiederbeschichtet werden können.
Die individuelle Kombination dieser Bausteine ermöglicht eine hocheffiziente Wiederaufbereitung aller Werkzeuge, die eng toleriert sind sowie eine hohe Oberflächengüte und Bearbeitungspräzision benötigen wie etwa Tieflochbohrer, Reibahlen, Präzisionsbohrer und MMS-gekühlte Werkzeuge.
Mit zwei kombinierbaren Bausteinen individuell und effizient ›retrofitten‹
Im Gegensatz zu herkömmlichen Methoden erhält das Entschichten mit inShape die ursprüngliche Geometrie der HM-Werkzeuge bis auf die Mikroebene. Das neuartige Verfahren entschichtet Oberflächen jedes marktüblichen HM-Typs schonend, ohne Abtrag oder Angriff auf die Co-Bindephase, und verhindert so die Verschlechterung der Ra- und Rz-Werte sowie der Werkzeugtoleranz. Es löst auch Verschmutzungen und Aufschmierungen ab und hinterlässt das blanke HM-Substrat.
Wie man bei Oerlikon Balzers betont, ergibt das große Vorteile auch bei MMS-gekühlten Werkzeugen, denn diese werden im Einsatz nur mit zerstäubtem Öl benetzt, nicht geflutet. Bislang könne sich das Öl in die stark erhitzten HM-Einsatzflächen regelrecht einbrennen und sei dann kaum mehr zu entfernen, ohne das Substrat zu beeinträchtigen. Abrasives Strahlen oder mechanisches Nachbehandeln würden die Geometrie und die Topografie der Oberfläche schädigen. Mit inShape geschehe all das nicht.
Im Einsatz für üblicherweise bis zu achtmal wiederaufbereitbare Präzisionsbohrer mit MMS hat sich das Servicepaket laut Oerlikon Balzers schon im Automobilbau bewährt. Dort habe man mit bisherigen Wiederaufbereitungslösungen 3000 Bohrungen fertigen können, bevor ein Austausch nötig wurde; mit einer Kombination von inShape und Wiederbeschichtung komme man nun reproduzierbar auf 5000.
Wie lassen sich beschichtete Hartmetall-(HM-)Werkzeuge am effizientesten wiederaufbereiten? Oerlikon Balzers gibt mit Services zum Entschichten, Vor- und Nachbehandeln und Wiederbeschichten darauf eine Antwort. Tests am ISF Dortmund bestätigten die Wirksamkeit.
Im Automobilbau schafft jeder Bohrer nun 5000 statt 3000 Bohrungen
In Bezug auf Reibahlen hätten sich weitere Vorteile ergeben. Hier verhindere das schonende Entschichten einen Abtrag der Substrats und erhalte die Mikrogeometrie der eng tolerierten Werkzeuge, sodass zusätzliche Aufbereitungszyklen möglich sind. Mithilfe des Wiederaufbereitungspaketes mit Ent- und Beschichtung in einem Durchlauf habe man die Durchlaufzeiten deutlich reduzieren können.
Die Zeit zum Wiederaufbereiten betreffend, hatten sich bei der bisherigen Lösung die Arbeitsschritte Entschichten, Begutachten, Vermessen, Schleifen sowie An- und Abtransport auf rund drei Wochen summiert. Der Service inShape in Verbindung mit den beiden Beschichtungen Balinit Pertura und Balinit Latuma sowie dem Schleifen macht mehrere Transportwege überflüssig, sodass sich die Zeitspanne auf zwei Wochen verkürzte. Aktuell befinden sich weniger Werkzeuge im Umlauf als zuvor; die Werkzeugkosten sanken bei gleichbleibender Prozesssicherheit. Den beabsichtigten Kernnutzen der kombinierten Services von inShape und primeTreat formuliert Rico Fritzsche, Segment Manager Cutting Tools bei Oerlikon Balzers, so: »Ein auf diese Weise wiederaufbereitetes Werkzeug arbeitet so gut wie ein neues – repro- duzierbar und über alle Aufbereitungs- zyklen hinweg.«
Erste Schritte für einen fundierten Nachweis hat Oerlikon Balzers im September 2019 mit Untersuchungen zum Tiefbohren mit Einlippen- und Wendeltiefbohrern an der TU Dortmund getan. Am dortigen Institut für Spanende Fertigung (ISF) wurden Hochgeschwindigkeitsanalysen der Spanbildung beim Tiefbohren mit kleinsten Durchmesserwerten im Werkstoff Stahl 42CrMoV4 durchgeführt.
Testobjekte waren Hartmetallwerkzeuge (Durchmesser 5 mm, Gesamtlänge 190 mm), die mit inShape entschichtet, mit primeTreat vor- und nachbehandelt und mit Balinit Pertura im Funktionsbereich komplett bis zum Spannutauslauf beschichtet wurden. Dagegen traten als Vergleichspartner identische HM-Werkzeuge an, die im Standardverfahren entschichtet, mit der gleichen Schicht veredelt sowie nachbehandelt wurden. Man testete Kopf- und Komplettbeschichtung.
Bei allen Testvarianten mit unterschiedlichen Parametern fand das Tiefbohren in blickdurchlässigen Acrylglasproben statt, um die Spanbildung exakt visualisieren zu können und aufzuzeigen, wie Späneabfuhr, Aufschmierungen und Spanklemmer zustande kommen. Dies hielt eine digitale Hochgeschwindigkeitskamera der neuesten Generation nachprüfbar fest.
Um die Aufnahmen zu ermöglichen, wurden die Versuche mit stehenden Werkzeugen und rotierenden Werkstücken durchgeführt. Auch aus diesem Grund wurden geringere Kühlschmierstoffdrücke als üblich gefahren, um Turbulenzen zu reduzieren und die Sichtbarkeit der Vorgänge nicht zu beeinträchtigen.
Im Ergebnis zeigten die Prüfobjekte bei den Einlippentiefbohrern einen deutlich besseren Späneabfluss als die standardpräparierten Vergleichspartner. Bei Letzteren stauten sich die Späne in der Spannut schnell, und das Risiko von Spanklemmern nahm zu. Zudem zeigte sich bald eine Stauchung am Werkstück, die auf einen höheren Schnittdruck zurückführen ist. Das resultierte in eng gewendelten Spänen, die sich schlecht abtransportieren ließen. Der Stau blockierte auch die Kühlung und führte aufgrund der höheren Temperaturen zu mehr Werkzeugverschleiß. Dipl.-Ing. Timo Bathe, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISF, erläutert: »Auch wenn der geringe KSS-Druck hier schlechtere Voraussetzungen schafft, ist zu sagen: Die Prüfobjekte führen die offener geformten Späne sichtbar besser durch Bohrung und Spankanal ab, beschädigen die innere Bohrfläche also nicht. Daraus lässt sich ableiten, dass sie eine deutlich höhere Prozesssicherheit schaffen und weniger Stillstände produzieren.«
Oberfläche gut 30 Prozent besser als bei Standard-Aufbereitung
Diese Unterschiede erwiesen sich bei den Tests mit Wendeltiefbohrern als noch größer, auch weil hier per se mehr Spanvolumen pro Umdrehung produziert wird. Zeigten sich bei den Prüf- objekten kleine Späne sowie eine schnelle, geschmeidige Abführung über die Spannut, so bauten sich bei den Vergleichspartnern sehr rasch Tüllen am Werkstück auf. Die Späne sammelten sich in der Nut in größerer Menge als beim Einlippenbohrer und es kam zu Aufschmierungen direkt an der Schneide und zu Spanklemmern.
Bei den Testwerkzeugen zeigte sich eine Verbesserung von durchschnittlich 30 Prozent in den Ra- und Rz-Werten gegenüber der Standardaufbereitung. »Die Versuche am ISF sind aus unserer Sicht beste Anschauungsbeispiele für die Prozesse im Tiefbohren sowie die Vorteile der Präparationen in unserem Wiederaufbereitungsservice«, resümiert Rico Fritzsche. »Dies gilt es in den aktuellen Feldtests zu reproduzieren und zu untermauern.«