Trendbericht Werkzeugmaschinen
Die Transformation gewinnt an Dynamik
Instabile Märkte, Krisen, Elektromobilität, Fachkräftemangel – die Branche ist Kummer gewohnt. Daher wissen die Werkzeugmaschinenhersteller, dass sie mit Innovationen in ihrem Kerngeschäft und mit der zunehmend intelligenten Einbettung der Maschinen in die Kundenprozesse antworten müssen.
5. Juni 2024
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von Frank Jablonski
Die Nachrichten gegen Ende des vergangenen Jahres hatten alle denselben Tenor: Der Ausblick auf 2024 wird trüb und die Wirtschaft wird sich in einem schwierigen Umfeld zurechtfinden müssen. Und noch im April dieses Jahres flehte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des VDMA, in Richtung europäischer Politiker: „Europa und die USA müssen sich in Handelsbeziehungen endlich wieder annähern!“ Der VDMA erhofft sich eine Vitalspritze durch eine Beilegung unter anderem des Streits um die Konformitätsbewertung von Maschinen und anderen Investitionsgütern: Immerhin, ein Abkommen könnte den transatlantischen Handel mit Maschinen und Elektrogeräten um 75 Milliarden Dollar pro Jahr erhöhen.
Obwohl zumindest die deutschen Hersteller gar nicht so unzufrieden in die 2023er-Bücher schauen wie manch einer der Maschinenbaukunden, würde ein solches Abkommen auch den Herstellern von Werkzeugmaschinen in Europa und den USA gut tun. Für 9,5 Milliarden Euro verkaufte die deutsche Werkzeugmaschinenindustrie Maschinen, Teile und Zubehör ins Ausland. Dabei hat sie auch jetzt schon vom Aufschwung in den USA profitiert. Sie exportierten in den nach China zweitgrößten Absatzmarkt 18 Prozent mehr Waren.
Zum Bild gehört aber auch, dass die größte Kundengruppe der deutschen Hersteller, die europäischen Nachbarmärkte, Wasser in den Wein gießt: „Obwohl die meisten westeuropäischen Länder zugelegt haben, sehen die Werkzeugmaschinenhersteller Europa zum Teil skeptisch“, sagt Dr. Markus Heering, Geschäftsführer beim VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken). Wichtige Abnehmerländer wie Italien, Schweiz oder Frankreich präsentieren sich momentan wenig dynamisch.
Während also in den Vertriebsabteilungen der Werkzeugmaschinenhersteller die Auftragsblöcke nur langsam an Dicke verlieren, bleibt beim Blick in die Entwicklungsabteilungen alles beim Alten: Der Druck, mit Innovationen und Effizienzsteigerungen Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten, bleibt gewohnt hoch. Da bietet ein Marktplatz wie die AMB in diesem Jahr in Stuttgart eine willkommene Gelegenheit, sich mit anderen marktführenden Unternehmen zu messen. Das zeigt auch eine Umfrage und Recherche unter Ausstellern der diesjährigen AMB. Neue Produkte im Kernsortiment, Implementierung von digitalen Lösungen und Industrie-4.0-Funktionen sowie eine flüssige Automatisierung in und um die Werkzeugmaschine sind nur einige der Neuerungen, die die AMB-Aussteller derzeit vorbereiten.
Blick auf die Trends in Unternehmen
Dass sich in der Branche einiges verändert hat, sieht man beispielsweise bei MTE Deutschland. Aus Sicht der Frästechnik-Experten mit spanischen Wurzeln werden die Bedürfnisse der Anwender immer komplexer. In der Folge steige die Nachfrage nach Multitasking-Maschinen, die nicht nur fräsen, sondern auch karusselldrehen und schleifen können. Diese ersetzen oft mehrere ältere Modelle und erhöhen so die Flexibilität in der Produktion. Eine der größten Veränderungen sei jedoch die gestiegene Bedeutung von Dienstleistungen. Service und die damit verbundene Ersatzteilverfügbarkeit, bei MTE gesichert etwa durch einen Leih-Fräskopf-Service, seien „ein Garant für den Erfolg“, heißt es.
Der Fachkräftemangel treibt zudem die Nachfrage nach Automatisierungslösungen. Daher verlassen immer mehr Paletten-Wechselsysteme die Produktionshallen in Montabaur. Zudem eröffnen Fräskopf-Wechselsysteme den Anwendern die Option, automatisch zwischen verschiedenen Fräsköpfen, Bohrspindeln und Winkelfräsköpfen zu wählen.
Auch der Hersteller von Horizontal-Bearbeitungszentren Mandelli aus Piacenza in Italien, konzentriert sich auf Automatisierung. Zerspanungsbetriebe hätten häufig umfangreiche, hoch technisierte Maschinenparks, jedoch mangele es an Bedienpersonal. Daher wird Mandelli den Zugang zu seinen Maschinen auch für ungeschulte Personen erleichtern. Zentralisierte Verwaltung von Paletten, Werkzeugen und Programmen sollen den gut ausgebildeten Technikern den Rücken freihalten, um andere, komplexere Aufgaben zu erledigen. Für die AMB 2024 wird bereits jetzt das ‘Titanium‘-Paket für die Zerspanung von Hartlegierungen vorbereitet. Und als Besuchermagnet soll das Modell ‘Spark 4000‘ dienen, von dem man in Piacenza sagt, es sei das wahrscheinlich größte horizontale Bearbeitungszentrum der Welt.
Ähnlich klingt es bei Citizen Europe in Esslingen in Bezug auf die Prozessautomation: „Infolge des Fachkräftemangels und aus Produktivitätsgründen fragen Anwender bei uns vermehrt Lösungen zum mannarmen Betrieb an“, bestätigt Vertriebsleiter Oliver Loth. „Das Feld Automation bietet hier enormes Potenzial, das wir ihnen entfalten“, und verweist damit auf ein neues Schwerpunktthema des Drehmaschinenherstellers: Um Automationslösungen stärker in den Fokus zu nehmen, wurde ein eigener Geschäftsbereich gegründet, der sukzessive ausgebaut werden soll. Mehrere eigens entwickelte Zellen würden bereits erfolgreich bei Kunden laufen, so Loth, und das stets kundenindividuell und bauteilfokussiert.
Automation gleich mitgedacht
Auch der deutsche Hersteller von Bearbeitungszentren Heller in Nürtingen hat bei der Auslegung seiner jüngsten Maschinen auf das Thema Automatisierung geachtet. Zwar standen bei der Entwicklung beispielsweise des 5-Achs-BAZ ‘F 6000‘ eine gesteigerte Zerspanungsleistung und eine höhere Präzision im Vordergrund, doch ist die Maschine bereits ab Werk mit einem Palettenwechsler ausgestattet und lässt sich einfach um einen standardisierten Linear- oder Rundspeicher erweitern. ‘Automation-ready‘ nennt Heller die Option, die ohne Umbau der Maschine erfolgen kann. Ein neuer Maschinenaufbau, vor allem die direkte Späneentsorgung nach hinten, sorgt für einen deutlich kleineren Footprint.
WFL im österreichischen Linz entwickelt auch im AMB-Jahr seine Produktpalette weiter und hat erst jüngst zwei zusätzliche Spitzenweitenvarianten von zwei sowie drei Metern für längere Wellenteile vorgestellt. Komplexe Bearbeitungsaufgaben werden mit der ‘M20 Millturn‘ abgedeckt. Auch bei WFL spielt die Automatisierung der Maschinen eine wichtige Rolle: Bereits vor sechs Jahren hat sich die Unternehmensleitung entschieden, in die Automatisierung seiner multifunktionalen Dreh-Bohr-Fräszentren zu investieren und dazu Frai Robotic Technologies übernommen. Ein Ergebnis der Bemühungen, Kunden die Arbeit zu erleichtern, ist beispielsweise das automatische Schnellwechselsystem bei der horizontalen Komplettbearbeitung von Futterteilen. Das Aufspannen und Ausrichten des Werkstücks auf der Spannpalette erfolgt bei dieser Lösung auf einem externen Aufspanntisch. Auch das Wechseln der Spannmittel inklusive Werkstück ist automatisch möglich. Alternativ können beim Einsatz von Spannfuttern die Werkstücke mit Hilfe eines Roboters direkt ins Futter gewechselt und die Werkstücke auf die Gegenspindel übergeben werden, sodass eine vollständige 6-Seiten-Bearbeitung realisiert werden kann.
Das Thema Automatisierung ist auch bei DMG Mori eng verzahnt mit der Weiterentwicklung des Leistungsportfolios. Neben den Prozessintegration und der digitalen und grünen Transformation sei dieses Thema eine tragende Säule, so ist es zu hören. Als Beispiel nennt DMG Mori die Integration unterschiedlicher Fertigungsprozesse in einer Maschine – Drehen, Fräsen und Verfahren wie Messen oder Verzahnen. Sie verkürzen die Prozesskette, reduzieren Rüstzeiten und verbessern die Qualität. In Summe steigt die Ressourceneffizienz, was zur Nachhaltigkeit beiträgt. Beispielsweise werden die neuen Horizontal-BAZ ‘INH 63‘ und ‘INH 80‘ in flexible Fertigungszellen und -systeme eingebunden und produzieren auch unbeaufsichtigt über bis zu drei Schichten. Automatisiertes Werkzeug- und Palettenhandling sowie der intelligente Leitrechner erhöhen die produktiven Spindelstandzeiten gegenüber der Stand-Alone-Installation von 2000 auf über 6000 Stunden pro Jahr, so der Hersteller. Digitale Technologien binden die Maschinen in ganzheitliche Produktionssysteme ein, was, im Kontext weiterer Maßnahmen, den Energieverbrauch der Maschinen um über 30 Prozent reduziere.
Pay-per-Use-Modelle
Auch beim Hersteller von Erodiermaschinen Zimmer & Kreim steht das Thema Nachhaltigkeit auf der Tagesordnung. Die Aussage lautet sogar: „Wir liefern die energieeffizientesten Maschinen am EDM-Markt.“ Auf der AMB wird das Unternehmen eine XXL-Senkerodiermaschine mit neu entwickeltem Spezialtanksystem ausstellen und adressiert damit Besucher aus der Luft und Raumfahrt, dem Großformenbau, oder der Großteilebearbeitung. Getreu dem Motto: „Kein Mensch braucht eine Bohrmaschine, man braucht nur das Loch“ arbeitet man im Odenwald darüber hinaus an neuen Geschäftsmodellen: „Wir sehen die Zukunft des Maschinenbaus in flexiblen Lösungen, die zu den Herausforderungen des Kunden passen. Das umfasst auch neue Finanzierungsmodelle wie Pay per use. Bei ihnen kauft unser Kunde keine Maschine, sondern zahlt für deren Nutzung.“ Das bringe eine neue Flexibilität in die Investitionen. Zudem verstärkt man aktuell das Thema Retrofit gebrauchter Maschinen.
Stetige Optimierung entlastet die Umwelt
Der Klimawandel beschäftigt die Branche intensiv. Auch der italienische Automatisierer CFT Rizzardi greift das Thema auf, und das gleich in mehrfacher Hinsicht: Einerseits sieht man in der gesamten Werkzeugmaschinenindustrie eine Phase der Stagnation infolge der Transformation weg vom Verbrennungsmotor und hin zur Elektromobilität. Hier versuchen die Italiener mit kundenspezifischen Werkzeugwechsel- und Handhabungssystemen für reibungslose Betriebsabläufe zu sorgen – unabhängig davon, welche Endanwenderbranche bedient wird. Auf der AMB 2024 wird CFT Rizzardi seine automatischen Werkzeugwechsler ausstellen und exklusiv seine neueste Innovation präsentieren: den patentierten ‘CTR 40 PF‘. Andererseits setzt man im Piemont im eigenen Fuhrpark nunmehr Elektroautos ein. Zunächst wurden zwei Ladestationen installiert, die von der eigenen Photovoltaikanlage gespeist werden.
Den digitalen Zwilling und 3D-Simulation im Gepäck
„Bei der Realisierung energiesparender Lösungen verstehen wir uns als Vorreiter“, sagt Dr. Sebastian Schöning, CEO der FFG Europe & Americas Gruppe und Geschäftsführer der MAG IAS GmbH. „Vor allem eine intelligente Softwaresteuerung hilft, den CO2-Abdruck pro produziertem Bauteil niedrig zu halten und den Betrieb ganzer Fertigungssysteme nachhaltig zu gestalten.“ Die Experten von FFG tauchen dazu sprichwörtlich in die Produktions- und Materialflussplanung ein und spielen Was-wäre-wenn-Szenarien durch. Dazu nutzen sie 3D-Simulationen und digitale Zwillinge von Maschinen und Abläufen. So soll die effektivste und wirtschaftlichste Anordnung von Arbeitsplätzen, Maschinen und Robotern ermittelt werden. Das erhöhe die Flexibilität im Betrieb, senke die Stückkosten und verbessere letztendlich die Wirtschaftlichkeit sowie die Energie- und Ressourceneffizienz.
Die AMB 2024 wird zur Innovations-Drehscheibe
Damit stehen die Ziele von FFG stellvertretend fast für die gesamte Branche. Wie der Überblick über diese ausgewählten AMB-Aussteller zeigt, herrscht zwar an vielen Stellen der europäischen Branche für Metallbearbeitung eine angespannte Situation. Die Unternehmen behalten aber ihre Kernthemen fest im Blick: Im Zentrum steht, die Präzision und Zuverlässigkeit der Bearbeitungsvorgänge weiter zu optimieren, durch intelligente Automatisierung die Effizienz weiter zu steigern und mit digitalen Methoden neue Ansätze zu finden.
Dass hierzu verschiedenste Lösungen parat stehen, wird auch die Messe AMB vom 10. bis 14. September 2024 in Stuttgart zeigen. Aktuellste Werkzeugmaschinen und ihre Steuerungen, Automatisierungslösungen rund um die Maschinen, eingebettete Messtechnik und Industrie 4.0-Lösungen werden zusammen mit kollaborativer Robotik und künstlicher Intelligenz vielversprechende Möglichkeiten für die Besucher bieten. So machen sie die Werkzeugmaschine zum Teamplayer und helfen den Anwendern auch in schwierigen Zeiten, wettbewerbsfähig zu bleiben und Wachstum zu fördern.
Information & Service
Messeveranstalter
Autor
Frank Jablonski betreibt als freier Fachjournalist die Agentur mylk+honey in Würzburg
info@mylkandhoney.de
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