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Die Gruppe will aufs Podest

Präzisionswerkzeuge – Komplettanbieter – geschlossene Wertschöpfungskette

Die Ceratizit-Gruppe hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Bis 2023 möchte sie umsatztechnisch zu den Top-3-Präzisionswerkzeugherstellern weltweit gehören. Um vom aktuellen vierten Platz vorzurücken, sollen neben Akquisitionen auch durchgängig angelegte Strategien greifen.
23. Juli 2019
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1 Formen einen Top-3-Werkzeughersteller: die beiden Geschäftsführer von Ceratizit Deutschland, Business-Unit Cutting Tools Gerhard Bailom (links) und Claude Sun (zweiter von links) sowie Ceratizit-Vorstand Thierry Wolter (rechts)© Hanser
Die in Familienbesitz befindliche Ceratizit-Gruppe ist seit 17 Jahren auf Wachstumskurs. Den Startpunkt bildet die Fusion der Hartmetall-Spezialisten Plansee Tizit und Cerametal zu Ceratizit im Jahr 2002. Seitdem säumen zahlreiche Akquisitionen und Joint-Ventures den Aufstieg zum Global Player: So wurden WNT (kam bereits 1987 zu Plansee Tizit), der Hartmetall-Produzent CB (Taiwan, 2010), Günther Wirth (2012), Promax Tools (USA, 2014), Klenk und Cobra Carbide/USA (2015), Becker Diamantwerkzeuge (2016), Komet und Best Carbide Cutting Tools (USA, 2017) sowie der Hartmetall-Recycler Stadler Metalle (2019) hinzugewonnen.
Zusammen mit dem zweiten großen Standbein, dem Verschleißschutz, generierte die Gruppe etwa 1,3 Milliarden Euro Umsatz. Über 9000 Mitarbeiter weltweit sind für den Konzern tätig, der über 30 Produktionsstätten betreibt und über 70 Vertriebsniederlassungen unterhält.
Mehr als 100 000 Produkte umfasst das Portfolio, das unter anderem in den Branchen Maschinenbau, Automobil, Bau, Medizin, Luftfahrt, Elektronik und Energie gefragt ist. In den F&E-Abteilungen tüfteln über 200 Mitarbeiter an innovativen Produkten, was sich unter anderem in über 1000 Patenten und Gebrauchsmustern und mehr als zehn Innovationspreisen seit 2002 widerspiegelt.
Vorstand Thierry Wolter: »Das erklärte Umsatzziel, bis 2023 zu den führenden drei Herstellern im globalen Markt für Präzisionswerkzeuge zu zählen, ist anspruchsvoll aber nicht illusorisch. Was das organische Wachstum betrifft, verfügen wir einerseits über eine außergewöhnliche Produktvielfalt und Anwendungskompetenz sowie über eine weit überdurchschnittliche Innovations-Schlagkraft. Wir beherrschen weiterhin die Wertschöpfungskette in einer einmaligen Breite unter den Herstellern, denn diese reicht vom Erz und Pulver über die komplette Fertigung der Werkzeuge bis hin zum Nachschleifen und Beschichten sowie dem Recycling der Hartmetallsubstrate. Andererseits sind wir aktuell noch sehr europalastig unterwegs, verfügen also bezüglich der Internationalisierung über enorme Wachstumspotenziale. Und da wir als umfassender Problemlöser auftreten wollen, sind wir auf dem Weg, der beste Arbeitgeber in der Branche zu werden, denn nur dann können wir fähige Köpfe an uns binden.«
2 Additive Fertigung in der Serienanwendung: SLM-gebaute Werkzeugköpfe am Ceratizit-Standort Stuttgart© Hanser

Die Marken wachsen zusammen, der Gruppen-Vertrieb ist organisiert

Das Zusammenwachsen der sukzessive erweiterten Gruppe wird, so Wolter, mit entsprechender Sensibilität bezüglich der gewachsenen Kulturen der Töchter vorangetrieben. Die Marktbearbeitung erfolgt innerhalb des Bereichs Cutting Tools der Dachmarke Ceratizit mit den vier Produkt- und Kompetenzmarken
  • Ceratizit: Wendeplattenwerkzeuge zum Drehen, Fräsen und Stechen
  • WNT: Rotierende Werkzeuge (HSS- und VHM-Bohrer, Gewindebohrer und -former, Zirkular- und Gewindefräser, Gewindedrehwerkzeuge, Miniaturdrehwerkzeuge, HSS- und VHM-Fräser) sowie Werkzeugaufnahmen und Spannlösungen
  • Komet: Bohrbearbeitung (Wendeplattenbohrer, Reibahlen, Senker, Ausspindelwerkzeuge und mechatronische Werkzeuge), neben VHM auch aus polykristallinem Diamant (PKD) oder nanokristallinem Diamant (NCD)
  • Klenk: Zerspanwerkzeuge (VHM-Bohrer und -Fräser) für die Luft- und Raumfahrt, allen voran für Leichtbauwerkstoffe
Für Vorstand Thierry Wolter vervollständigen diese vier Teile ein Puzzle, das dem Verkauf alle Möglichkeiten eröffnet: »Jeder Vertriebsmann kann und wird alle vier Marken vertreten. Wir unterscheiden einzig zwischen dem Flächenvertrieb und dem Projektgeschäft. Denn bei all der Technologie- und Prozessorientierung machen die Menschen den Unterschied. Auf diese Weise können wir die Weiterbetreuung aller Kunden auf hohem Niveau sicherstellen.«
3 Pick-by-light: am Standort Kempten werden die Mitarbeiter beim Versand von täglich 12 000 Kundenbestellungen im Logistikzentrum der Gruppe mit intelligenten Tools unterstützt© Hanser

Mit dem Ohr am Puls der Zeit

Was die aktuellen Herausforderungen betrifft, sieht Wolter die Gruppe in einer bevorzugten Position am Markt. »An erster Stelle möchte ich die Werkstoffe nennen. Wir haben bei den Akquisitionen der letzten Jahre auf eine Verbreiterung des Kompetenzrahmens geachtet. Klenk ist stark im Leichtbau, Aluminium war immer eine Stärke von Plansee Tizit und Komet stellt mit PKS und CBN ebenfalls leistungsfähige Schneidstoffe parat. Der zweite Trend ist die Digitalisierung und da haben wir in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. So etwa mit dem ToolScope, mit dem sich die Prozesse auf Basis eines referenzierten und gemessenen Drehmomentverlaufs überwachen, analysieren und optimieren lassen. Zudem haben wir das Motto ›one identitiy‹, ein Erkennungszeichen in Form eine QR-Codes auf den Werkzeugen, mit dem wir die Historie des Werkzeugs dokumentieren und damit nachverfolgbar machen. Es gibt noch viele Ideen.«
Positiv ist auch der Blick nach vorne, trotz unsicherer Megatrends wie der Elektromobilität, denn auch dafür sei Ceratizit bereits mit Lösungen erfolgreich. Thierry Wolter: »Dank unserer Vertriebs- und Logistikkompetenz bei WNT am Standort in Kempten bieten wir für unsere Kunden in Europa einen 24-Stunden-Lieferservice. Auch das wird zunehmend zum Entscheidungskriterium. Im Zusammenspiel unserer Marken können wir an vielen relevanten Stellen den Kunden einen Mehrwert bieten. Und es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass wir weiter nach geeigneten Gruppenmitgliedern suchen, die unser Portfolio sinnvoll erweitern.«

Innovative Technologien sorgen für einen Kunden-Mehrwert

Wachstumsstrategien und organisatorische Restrukturierungen sind nur der konzeptionelle Rahmen, innerhalb dessen die zahlreichen Produkt- und Prozesslösungen entstehen. So wird beispielsweise bei Komet in Stuttgart aktiv das selektive Laserschmelzen genutzt, sobald es einen Mehrwert im Sinne einer optimierten Werkzeuggestaltung bietet. So werden etwa bei Bohrwerkzeugen für das Erzeugen von Froststopfenbohrungen additiv die Spanlenkungseinsätze gefertigt. Auch werden Fräswerkzeugköpfe additiv ›gebaut‹, in die PKD-Wendeplatten eingelötet werden. Das ermöglicht fallweise eine stärkere Spiralisierung, was für einen weicheren Schnitt sorgt, oder das Anordnen einer größerer Anzahl von Schneiden, womit sich die Standzeit verlängern lässt.
4 Innovation in puncto Digitalisierung: die Applikation ToolScope trägt mit ihren vier Modulen zur Prozesssicherheit und zur Optimierung der Produktivität bei© Hanser
Des Weiteren wird in der Fertigung in Stuttgart, wo bis zu 80 Prozent kundenspezifische Werkzeuge erzeugt werden, die Mensch-Roboter-Kooperation gepflegt. Bei scharfkantigen Hartmetallschneiden erfolgt mittels Bürstroboter die definierte Schneidkantenverrundung. Das entlastet die Mitarbeiter, sichert die Reproduzierbarkeit des Bürstergebnisses und senkt die Kosten. Zudem sorgen fünf Laserbearbeitungsmaschinen für eine bessere Ausbeute beim Ausschneiden von PKD-Blancs aus den Rohmaterial-Ronden sowie, im Vergleich zum Erodieren, für eine glattere Oberfläche bei der Fertigbearbeitung von PKD-Werkzeugen.
Auch hält die Digitalisierung bei der Auftragssteuerung und -nachverfolgung sowie in Bezug auf die Fertigungspapiere Einzug. Ein barcodegestütztes MES-System, das mit SAP korrespondiert, soll künftig die hochgradig mit Eil- und Sonderanfertigung beschäftigte Fertigung transparenter gestalten und mithin zu einer höheren Termintreue und kürzeren Durchlaufzeiten führen.

Standort Balzheim im Aufwind

37 Millionen Euro wurden in den vergangenen fünf Jahren in die Kapazitätserweiterung, Modernisierung und Digitalisierung des Standorts Balzheim investiert, wo heute auch die Klenk-Werkzeuge für die Luft- und Raumfahrt gefertigt werden. Hier werden jährlich 310 t Hartmetall verarbeitet. Daraus resultieren 8000 Werkzeuge pro Tag. Neben dem gruppeneigenen Hartmetall steht die PVD-Beschichtungstechnik auf der Liste der Kompetenzen.
Eine der aktuell vorangetriebenen Technologien ist das trochoidale Fräsen. Dank einer hohen Schnitttiefe und geringer seitlicher Zustellung erfolgt vibrationsarm (dank eines optimalen Umschlingungswinkels) eine deutlich produktivere Schruppbearbeitung selbst schwer zerspanbarer Werkstoffe.

Logistik und mehr in Kempten

Auch am WNT-Standort Kempten sind die Kapazitätsgrenzen erreicht. Daher plant die Ceratizit-Gruppe den Neubau eines Logistikzentrums mit angeschlossenem Innovations- und Schulungszentrum und auf der grünen Wiese. Ab Anfang 2021 stehen dort auf 16 000 m2 Fläche 300 000 Lagerplätze für 100 000 verschiedene Produkte zur Verfügung stehen, ein weiterer modularer Ausbau ist möglich. Dabei wird der aktuell vorhandene Automationsgrad nochmals gesteigert. Damit soll auch künftig zu 99 Prozent eine Belieferung des Kunden innerhalb Europas am Folgetag sichergestellt werden, wenn dieser bis 19 Uhr seine Bestellung einreicht.

Reutte – das Herz der Gruppe

Ceratizit in Reutte ist das pulvermetallurgische Zentrum der Gruppe. Die breite Kompetenz, ausgehend von der Gestaltung des Hartmetallpulvers mit all seinen Legierungsbestandteilen wie Wolframcarbid oder Kobalt, das anschließende Formen und Pressen zum Grünling, das Sintern und abschließende Schleifen sowie Beschichten, wird hier durch die angegliederte F&E-Abteilung nah begleitet. Gemeinsam mit den langjährigen Erfahrungen der vier Marken resultieren daraus – so die beiden Geschäftsführer der Business-Unit Cutting Tools von Ceratizit Deutschland, Claude Sun (Marketing und Vertrieb) und Gerhard Bailom (Produktion und Entwicklung) – außergewöhnliche anwendungsspezifische Komplettlösungen, die in Begleitung mit modernen Softwareapplikationen wie dem Tool- Scope eine Ausnahmestellung der Ceratizit-Gruppe im Markt begründen.
Eine der herausragenden Entwicklung ist in diesem Kontext das 2018 vorgestellte High Dynamic Turning mittels Freeturn-Verfahren. Auf einem Drehfräszentrum mit integrierter B-Achse (Frässpindel) lässt sich der Anstellwinkel des Drehwerkzeugs im Eingriff verändern, was enorme Produktivitätsvorteile mittels Pendelverfahren (keine Luftfahrten), eine reduzierte Anzahl an verschiedenen Werkzeugen (keine linken und rechten Werkzeuge mehr), einen vibrationsärmeren Schnitt (die Hauptschnittkraft läuft axial ins Werkzeug) sowie eine gleichmäßigere Schneidenabnutzung und damit längere Standzeit mit sich bringen soll.
Für die Weiterentwicklung des revolutionären Verfahrens ist Ceratizit in engem Kontakt mit Maschinen-, Steuerungs- und CAD/CAM-Softwareherstellern, deren Know-how gefordert ist. Zur EMO stellt Ceratizit erste Zyklen für einen überschaubaren Programmieraufwand für diese mit vielen Freiheitsgraden versehene, aber anspruchsvolle Technologie in Aussicht.